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Test - Edna & Harvey: The Breakout : Das Meisterwerk, das eine ganze Ära begründete

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„So sahen Adventures früher aus.“ Mit dieser Zeile begann damals der erste Trailer zu „Edna bricht aus“ gefolgt von einem „Und so sehen sie heute aus“ mit jeweils exakt der gleichen Szene in handgezeichnetem 2D. Damit machte der Hamburger Entwickler Daedalic unmissverständlich klar, dass sie sich nicht Moden unterwerfen und technischen Trends hinterher hecheln, ihre Spiele nicht seelenlos mit der Quartalsbilanz im Hinterkopf, sondern mit Liebe entwickeln und damit der verklärten guten, alten Zeiten huldigen, als nicht alles besser gewesen sein mag, aber das Adventuregenre seine goldenen Jahre erlebte. Und spätestens nach den Sensationswertungen ihres Debütspiels „Edna bricht aus“ ahnte man schon, dass sie ihm zu einem späten zweiten Frühling verhelfen würden …

Edna Bricht Aus - Teaser-Trailer

Erste kurzer Trailer zum Adventure "Edna Bricht Aus" aus Deutschland.

Die Leute, die Monkey Island gut finden

Aus heutiger Sicht muss man sich gedanklich erstmal wieder ins Jahr 2008 zurückversetzen, um zu verstehen, wie blasphemisch besagter Trailer zu „Edna bricht aus“ seinerzeit gewesen ist, welch provokante Kampfansage er enthielt. Spiele hatten damals in 3D zu sein. Punkt. Es gab noch keinen Indie-Markt wie heute. Handgezeichnetes 2D war so out wie heute etwa Telefone mit Wählscheibe. Adventures wie Simon the Sorcerer 3, Baphomets Fluch 4 und Gabriel Knight 3 hatten sich eine blutige Nase geholt beim Versuch, das Genre in die dritte Dimension zu überführen. Sollte der Weg zurück etwa tatsächlich der Weg nach vorne sein in einer Branche, die wie kaum eine andere vom technischen Fortschritt getrieben ist?

„Von den Machern von Monkey Island“, stand damals auf der Packung von „Edna bricht aus“, wobei das „Macher“ durchgestrichen war und ersetzt wurde durch ein „Von den Leuten, die Monkey Island gut finden“. Daedalic waren nicht die Ersten und beileibe nicht die Einzigen, die Monkey Island ganz offensichtlich gut fanden, mit den Klassikern von Lucas Arts, Sierra und „Benutze Hamster mit Mikrowelle“ aufgewachsen waren und sich in diese Zeit zurücksehnten, als die ganze Welt noch nicht der nächsten Season von Fortnite entgegenfieberte, sondern gemeinsam auf der Suche nach dem Benzin für die Kettensäge war.

Zuvor hatten bereits die Frankfurter von Deck13 (Ankh), die Berliner von Silver Style (Simon the Sorcerer) oder Animation Arts im sächsischen Naumburg (Geheimakte Tunguska) tapfere Versuche unternommen, das totgesagte Genre zu defibrillieren. Aber mehr als ein Flackern auf dem Kardiogramm gelang ihnen damit nicht. Wie man zudem deutlich sieht: Vor allem in Deutschland haben die Adventures der klassischen Ära offenbar ihre Fans. Monkey-Island-Erfinder Ron Gilbert ist auf jeder seiner Pressetouren regelmäßig aufs Neue überrascht und geschmeichelt angesichts der kultischen Verehrung, die ihm hierzulande zuteil wird. In Amerika kenne ihn keine Sau, berichtet er immer wieder schmunzelnd.

Insofern ist es kein Wunder, dass die Renaissance des totgeglaubten Genres hier ihren Anfang nahm. In den USA hielten allenfalls Telltale Games noch die Adventure-Flagge hoch, bis sie sich mit The Walking Dead in eine andere Richtung verabschiedeten. In Deutschland spezialisierte sich Anfang der 00er-Jahre der Hamburger Publisher DTP auf diese Nische, brachte zunächst Spiele wie das spanische Runaway, das norwegische The Longest Journey oder das tschechische Black Mirror nach Deutschland, bevor man mit Spielen wie The Moment of Silence (House of Tales, Bremen), Mata Hari (Cranberry, Hannover) und Drakensang (Radon Labs, Berlin) auch die heimische Entwicklung stark vorantrieb. DTP gibt es heute nicht mehr. Doch ging daraus Daedalic hervor, die dem Genre endgültig zu einer zweiten, wahrscheinlich letzten Blüte verhelfen sollten.

Zweiter Frühling eines Genres

Spielehistorisch schließt sich mit der schon seit einem halben Jahr für PC, nun auch auf den Konsolen PS4, Xbox One und Switch vorliegenden Anniversary Edition eine Klammer, die ich viel lieber etwas hochtrabend als „Ära“ bezeichnen möchte. „Edna bricht aus“, das aus einer Uni-Abschlussarbeit hervorging, kam 2008 gewissermaßen aus dem Nichts und schlug mit einer Wucht ein, die nicht nur Kritiker und Spieler, sondern am meisten wahrscheinlich die Daedalics selbst völlig überraschte. Dem ebenso charmanten wie witzigen Adventure gelang etwas, das seine Brüder im Geiste von Ankh bis Tony Tough, von Ceville bis Jack Keane, immer nur anstrebten, aber nie erreichten: den Schulterschluss mit dem großen Vorbild Lucas Arts zu vollziehen, dem sie nicht nur als Hommage ehrfürchtig auf dem Schoß saßen, sondern selbstbewusst dessen Traditionen fortführten.

„Edna bricht aus“ war der Startschuss einer Erfolgsgeschichte, die Daedalic zum Dauer-Abonnenten des Deutschen Entwicklerpreis werden ließ und mit Spielen wie The Whispered World, der Deponia-Reihe oder Das Schwarze Auge: Memoria Genrevertreter hervorgebracht hat, die in vielerlei Hinsicht die Qualität der verehrten Klassiker sogar noch übertreffen. Niemand war glücklicher als ich darüber, dass das Genre diesen silbernen Herbst erleben durfte. Doch nun ist auch mal gut. Mit der „Edna & Harvey: The Breakout“-Anniversary-Edition endet das zweite goldene Zeitalter des Point-and-Click mit demselben Spiel, mit dem es begann.

Denn trotz aller Preise, Lobhudeleien in der Fachpresse und Rekordwertungen konnten Adventures ihre Strahlwirkung nie weit über die Grenzen ihrer eingeschworenen Fan-Zielgruppe hinaus erweitern, sind sie bereits in ihrer Veranlagung mit ihrem ständig ins Stocken geratenden, auf Frust statt Belohnung ausgelegten Spielprinzip alles andere als zeitgemäß, musste sich Daedalic nach finanziellen Rückschlägen auf lukrativere Genres wie das kommende Action-Adventure Gollum neu ausrichten. Ihre letzten narrativen Spiele wie Silence, Die Säulen der Erde und State of Mind waren schon lange keine klassischen Adventurespiele mehr, sondern Hybride, die bereits weitaus intensiver mit Telltale und Dontnod flirteten als mit den Piraten der Affeninsel. Und auch Daedalics Weggefährten gehen mittlerweile in andere Richtungen: Deck13 hat sich unterdessen auf Souls-like-Spiele (The Surge) spezialisiert, und King Art liefert demnächst mit Iron Harvest ein Steampunk-Strategiespiel ab.

For a Good Time - Edna

Im Rückblick wirken die Parallelen zwischen „Edna bricht aus“ und demjenigen Spiel umso bemerkenswerter, mit dem auch der erste Siegeszug der Adventures in der Spielegeschichte begann: Maniac Mansion, das 1987 die Initialzündung fürs Point-n-Click-Genre bedeutete. In beiden Spielen bildet ein weitschweifiges Anwesen den Mittelpunkt des Geschehens, seine zahlreichen Zimmer die Bühne für ein Geschehen, das sich nicht zur großen Abenteuergeschichte aufschwingt, sondern lediglich als Kitt dient für seine Orte, Rätsel und vor allem die irrwitzigen Situationen und Personen, um die sich alles dreht. Zweifellos dürfte es sich um keinen Zufall handeln, dass sich unter den Charakteren in Maniac Mansion mit Namen wie Fred und Ed auch eine Edna befand.

Dass ausgerechnet eine Irrenanstalt als Schauplatz für das erste Spiel von Daedalic-Kreativkopf Jan Müller-Michaelis auserkoren wurde, liegt rückblickend geradezu auf der Hand, bietet sie doch die ideale Spielwiese für seinen mittlerweile zum Markenzeichen gewordenen Humor zwischen charmanter Pointe und bissigem Zynismus.

Im Gegensatz zum Maniac Mansion ist Ednas Irrenanstalt nämlich kein unbelebtes Spukhaus, sondern Herberge für ein knallbuntes Panoptikum skurrilster Persönlichkeiten: Hoti und Moti etwa, die sich für siamesische Zwillinge halten, jedoch lediglich im selben Pullover feststecken. Oder der Bienenmann, ein schöngeistiger Schauspieler, der mit seinem Leben im Bienenkostüm gegen den eigenen Vater, einen passionierten Imker, rebelliert (oder einfach nur eine Wette verloren hat). Oder Droggelbecher, der aufgrund eines angeborenen Sprachfehlers nicht mehr als seinen seltsamen Namen über die Lippen bringt („Droggelbecher!“) – was sich im Laufe der Jahre zu einem ähnlichen Running-Gag des Genres entwickelt hat wie seinerzeit die Frage nach dem Verbleib des Kettensägenbenzins.

Den eigentlichen Geniestreich des Spiels, der ihm auf ewig einen Platz im Olymp der Spielegeschichte sichern wird, bildet die Tatsache, dass keine Aktion im Spiel mit einer Standardphrase der Marke „Das klappt so nicht“ abgetan wird, sondern jede, absolut jede (!) einzelne (!!) Eingabe mit einer individuellen Reaktion versehen wurde. Der dafür nötige Entwicklungsaufwand wirkt heute noch mindestens genauso gewaltig wie damals und wurde daher auch von Daedalic selbst nie wieder im gleichen Umfang wiederholt. Angesichts einer selbstironischen Szene im Spiel, in der sich die Entwickler in einer Selbsthilfegruppe für diesen Wahnsinn selbst bemitleiden, ist das sicherlich verständlich („30.000 Zeilen allein im 1. Akt! Was habe ich mir nur dabei gedacht?“).

Umso ehrfurchtsvoller muss anerkannt werden, dass kaum eine dieser schier unzähligen Zeilen wie lästige Routine in Fließband-Fleißarbeit klingt, sondern ein ums andere Mal mit einem witzigen Bonmot überrascht, die allesamt ausnahmslos pointiert erdacht sind und einen Nebeneffekt bewirken, den man von Adventures ganz und gar nicht gewohnt ist: Das in anderen Spielen sonst so lästige Benutze alles mit allem, wenn man mal nicht weiterkommt, wird dergestalt zu einer heiteren Entdeckungsreise, die das muntere Ausprobieren fördert und auf der man sich über jeden unerwarteten versteckten Scherz wie ein Schneekönig freut wie in anderen Spielen über wertvollen Loot. Wer etwa beim eigentlich völlig abwegigen Versuch, mit dem Mülleimer zu sprechen, mit einem Gastauftritt von Oskar, dem grünen Unhold aus der Sesamstraße, belohnt wird, klopft sich zunächst vor Lachen auf den Schenkel, bevor er den Hut zieht aus Respekt vor derartig übersprudelndem Einfallsreichtum.

Ein paar Worte zur Anniversary Edition

Die Anniversary Edition erschien bereits vor gut einem halben Jahr auf PC und ist nun für den Preis von 19,99 Euro auch für alle aktuellen Konsolen PS4, Xbox One und Switch erhältlich. Dafür wurden sämtliche Grafiken in zeitgemäßer Optik in HD und 16:9-Format komplett neu gezeichnet und damit im Look an die neueren Spiele des Entwicklers wie den Deponia-Titeln angepasst, ohne dabei den minimalistischen Charme aufzugeben. Auf Wunsch kann jederzeit in die alte Version umgeschaltet werden, deren offenkundig grober Pinselstrich allerdings auf beinahe schon befremdliche Weise ihre damals noch amateurhafte Entstehung zur Schau stellt.

Etwas schade ist, dass Daedalic die Chance ungenutzt ließ, mit weiterem Bonusmaterial wie einem Audiokommentar oder Making-of-Videos Einblicke in die Anfänge der eigenen Firmengeschichte zu geben, die gleichbedeutend mit einem wichtigen Abschnitt Genregeschichte ist. Und nur der Vollständigkeit halber, weil ich selbst fast darauf hereingefallen wäre: Auch wenn der englische Titel anderes vermuten lassen könnte, liegt der Anniversary Edition nicht der Nachfolger Harveys Neue Augen bei. Dieser ist bereits seit Längerem in einer überarbeiteten Fassung auch für Konsolen erhältlich.

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