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Special - Der Mut zur Wahrheit : Fehlende Transparenz in der Videospielindustrie

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Neulich hatte ich die Gelegenheit, an der Paradox Convention 2015 im beschaulichen Stockholm teilzunehmen. Keine große Sache, schließlich sind solche Events Teil unseres Berufslebens. Eigentlich war es wie bei jeder dieser Veranstaltungen: Es wurden mal mehr, mal weniger interessante Spiele gezeigt. Hier eine Erweiterung, da eine Fortsetzung und gelegentlich schlich sich sogar eine vollkommene Neuentwicklung ein. Doch es gab eine Sache, die mich zum Nachdenken anregte: Im Laufe einer Präsentation stellte Paradox CEO Fredrik Wester seine Unternehmensphilosophie für die kommenden Jahre vor: Man wolle mehr Transparenz wagen. Man wolle, so gut es nur gehe, ehrlich sein, Fehler eingestehen, sie beim Namen nennen und künftig daraus lernen. Da wurde mir schlagartig bewusst, dass diesen Vorsatz nicht nur Paradox fassen sollte, sondern die gesamte Industrie. Denn es wäre bitter nötig.

Wir alle kennen sie, die falschen Versprechungen. Insbesondere wenn ein neues AAA-Spiel angekündigt wird, kommt kurz darauf die Marketing-Maschinerie ins Rollen. Die Industrie bleibt schon lange nicht mehr auf dem Teppich, sondern ist bereits in höhere Sphären entstiegen, um von dort oben ihre neuen Spiele über den grünen Klee zu loben. Dann klingen solche Sätze an: „Spiel XY wird die Art und Weise, wie wir Spiele erleben und erfahren, völlig verändern.“ Und weil man so dermaßen von sich überzeugt ist, wird zuerst ein aufwendig produzierter CGI-Trailer auf die Massen losgelassen, der nur grob das eigentliche Spielprinzip skizziert ...

Wir alle, ob Fans oder Journalisten, haben uns damit irgendwie arrangiert. Die einen springen auf den Hype-Zug auf, ohne sich je darüber Gedanken gemacht zu haben, dass er irgendwann entgleisen könnte. Die anderen kommentieren das Gezeigte lediglich mit einer gehobenen Augenbraue. Was dann folgen kann, haben wir oft genug erlebt: Ernüchterung und Enttäuschung sind immer öfter unsere Begleiter, wenn es um die Veröffentlichung eines neuen sogenannten Blockbusters geht. Und ist das erst einmal bei euch, den Spielern, angekommen, ist von den Publishern fast nichts mehr zu hören.

Das lässt sich hervorragend am vergangenen Jahr illustrieren. Mehrere Titel, darunter DriveClub, Assassin's Creed: Unity, Halo: The Master Chief Collection, Destiny, Watch_Dogs und Thief, konnten den Erwartungen nicht gerecht werden. Das muss nicht zwingend spielerische Gründe haben, sondern hängt zu weiten Teilen auch mit nicht funktionierenden Online-Modi oder sonstigen technischen Problemen zusammen. Und nun stoßen wir auf den eigentlich Kern des Problems: Viele Publisher sind nicht in der Lage, uns zu erklären, woher diese Probleme rühren und wie die Gründe dafür aussehen. Es fehlt also an Transparenz.

Jetzt sei mal ehrlich!

Warum wurde Assassin's Creed: Unity solch ein technisches Desaster, wieso funktioniert selbst mehr als drei Monate nach der Veröffentlichung der Online-Multiplayer der Master Chief Collection immer noch nicht so, wie er sollte, und wo bleibt, verdammt noch mal, die PS-Plus-Edition von DriveClub? Ehrliche Antworten darauf suchen wir vergeblich. Obwohl Millionen Menschen von diesen Problemen betroffen sind, gibt es seitens der Publisher vielleicht mal eine Entschuldigung, aber handfeste Aussagen sind nicht zu erwarten. Oftmals werden wir mit wenigen Sätzen abgespeist. Um solch einen komplexen Sachverhalt aber zu erklären, bedarf es weit mehr als eines „Entschuldigung, das war ursprünglich nicht so geplant“ oder „Wir arbeiten daran“.

Auf der einen Seite tut die Industrie stets so, als wäre sie unser bester Freund. Immer wieder beruft man sich auf dieses eine Wort, das die Nähe zur eigenen Kundschaft belegen soll, das überall zu lesen ist und das ich schon nicht mehr hören kann: Es ist der „Fan“, der angesprochen werden soll. Aber geht man so mit seinen Freunden, mit seinen Fans um? Bittet man seinen besten Freund zur Kasse und überlässt ihm ein technisch unausgereiftes Produkt, ohne ihm anschließend zu erklären, was dazu geführt hat? Lässt man seinen Freund bewusst im Dunkeln und kalkuliert bereits im Vorfeld der Veröffentlichung, dass es da draußen ohnehin mehr als ein paar Dumme gibt, die ihr Geld zum Fenster hinauswerfen?

Auch das mittlerweile einschlägig bekannte Interview mit Peter Molyneux hat mir erneut vor Augen geführt, dass es diese Industrie mit der Wahrheit oftmals nicht so genau nimmt. Es hat aber auch gleichzeitig aufgezeigt, dass es von Vorteil sein kann, wenn man sich die Zeit nimmt, die Vorgänge im Einzelnen zu erklären. Auch wenn Molyneux mit seinem Spiel Godus und dem damit verbundenen Vorhaben gescheitert ist, so hat er zumindest versucht zu erklären, was dazu geführt hat - natürlich bleibt die Frage offen, ob all seine Antworten auch ehrlich waren. Ich möchte von Entwicklern und Publishern ernst genommen werden und genau aus diesem Grund erwarte ich auch, dass mir jemand eine ausführliche Antwort darauf gibt, warum beispielsweise ein integraler Spielmodus von Dying Light ursprünglich nur Vorbestellern zur Verfügung gestellt werden sollte. Aber was bekomme ich stattdessen zu hören?

Laut der offiziellen Pressemitteilung, die damals hier einflog, hat man sich seitens des Entwicklers Techland aufgrund der fortwährenden Unterstützung der Spieler dazu entschieden, den sogenannten Be-a-Zombie-Modus frei zur Verfügung zu stellen. Wer sich die Kommentare zu der damaligen Vorbestellerankündigung durchliest, weiß, dass diese Entscheidung aus völlig anderen Beweggründen getroffen wurde. So etwas passiert immer wieder. Warum ziert man sich so, offen die Wahrheit auszusprechen und die eigenen Fehler einzuräumen?

Ich wünsche mir, dass mehr Entwickler und Publisher sich trauen, eigene Fehlleistungen öffentlich zuzugeben. Paradox macht da den richtigen Schritt. Ob der Publisher seiner Strategie auch treu bleibt, sei mal dahingestellt. In unserem Interview merkte man den Verantwortlichen jedoch an, dass sie all das ernst zu nehmen scheinen. Natürlich ist es für einen verhältnismäßig kleinen Publisher, der ein kleineres Spielerklientel anspricht, um ein Vielfaches einfacher, mit solch einer Problematik umzugehen. Die öffentliche Wahrnehmung richtet sich schließlich auf die Großen der Branche. Aber es sind eben jene Großen, die sich nicht in die Karten schauen lassen wollen. Dabei würde mehr Transparenz bei so mancher Entscheidung vielleicht für mehr Verständnis sorgen.

Gäbe mir Ubisoft eine konkrete Erklärung dafür, warum Assassin's Creed: Unity zum Start ein technisches Klappergerüst war, das regelmäßig in sich zusammenbrach, wäre das zwar keine Entschuldigung, aber ich wüsste wenigstens, welche Gründe zu diesem Debakel geführt haben, und ich würde verstehen. Genau das ist es, was ich möchte. Ich will verstehen. Ich will verstehen, warum Rockstar die Online-Heists für GTA Online regelmäßig verschoben hat, und ich will verstehen, warum die PC-Version nun doch erst Mitte April erscheint. Da reicht es mir nicht, dass man sagt, man wolle das Spiel weiter optimieren oder den letzten Feinschliff vornehmen. Wenn sich die Branche um ihre „Fans“ endlich mal richtig verdient macht, habe ich auch keinen Grund mehr, solche Texte zu schreiben und euch damit auf die Nerven zu gehen.

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