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Test - Death Stranding : Mega-Test: Unbedingt lesen vor dem Kauf

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Bislang machte Death Stranding weniger als Spiel denn vielmehr als genialer Marketing-Coup von sich reden. Selten zuvor in der Spielegeschichte war im Vorfeld so wenig über ein Spiel bekannt, gab es sich in den Trailer betont kryptisch und surreal, verriet nicht einmal sein Genre oder Einzelheiten zum Gameplay. Nicht Erwartung, sondern Irritation und Neugierde befeuerten den Hype um Death Stranding. Nun konnten wir es endlich (durch-)spielen und verraten euch, worum es darin eigentlich geht. Und weshalb es seine Spieler vermutlich auf eine Weise polarisieren wird wie schon lange kein Spiel mehr.

Story: Worum geht es eigentlich?

Norma Reedus nackt an einem Strand, über eine Nabelschnur verbunden mit einem Baby, das er in den Armen wiegt, bis es sich plötzlich in Luft und eine Pfütze Teer auflöst und in unsichtbarer Gestalt schwarze Handabdrücke an einem Strand voller gestrandeter Wale hinterlässt, über dem mysteriöse Gestalten schweben. Der erste Trailer zu Death Stranding gab Rätsel auf. Der zweite mit Mads Mikkelsen als dämonischer Soldat und Guillermo del Toro als Anzugträger im Zweiten Weltkrieg erst recht. Der dritte mit unsichtbaren Monstern und einer Art Wiedergeburt durch einen verschluckten Fötus (WTF?!) ebenso. Ganz offensichtlich wollte hier jemand die Floskel „abgefahren“ im Spielejargon zukünftig ganz für sich alleine beanspruchen.

Death Stranding - E3 2016 Announcement Trailer
Hideo Kojima hat völlig überraschend sein neuestes Spiel namens Death Stranding mit Norman Reedus in der Hauptrolle vorgestellt.

Zunächst einmal: So kryptisch und unverständlich, wie Death Stranding es in den Trailern glauben machen will, ist es gar nicht. Natürlich kokettiert das Spiel ständig mit einer betont surrealen Logik, die es in bevorzugt abartig bis ekelhafte Ästhetik hüllt und seine Metaphern lieber stark verklausuliert statt offenlegt. Wenn man aber das Spiel von Anfang an spielt, die Zusammenhänge kennt und den Erklärungen folgt, dann ist alles halb so wild.

Die Gesetzmäßigkeiten dieser Welt, was es mit den Babys auf sich hat, woher die unsichtbaren Monster kommen und welche Rolle man als Spieler darin einnimmt, sind spätestens nach dem Prolog des Spiels weitgehend klar. Ja sogar: Nahezu alle Zwischensequenzen des Spiels wurden bereits als Trailer veröffentlicht. Wenn man sie einfach nur in der richtigen Reihenfolge abspielt, ergeben sie tatsächlich Sinn.

Worum geht es also? Und meinetwegen, da der Hinweis heutzutage nötig scheint: Ich werde nichts spoilern, was ihr nicht ohnehin nach ein paar Minuten im Spiel selbst herausfindet. Wer völlig unvorbereitet ins Spiel starten will, überspringt einfach diesen Abschnitt und liest beim Kapitel über das Gameplay weiter.

Eine Katastrophe hat einen Spalt zwischen Realität und Totenreich gerissen. Er verhindert, dass Menschen nach dem Ableben diese Welt verlassen können. Stattdessen werden sie zu unsichtbaren Geistern, die seelenlos über dem Erdboden schwebend verharren und jeden Lebenden, der sich unachtsam nähert, ins Jenseits zu zerren versuchen. Dies hat zu einem apokalypseähnlichen Zusammenbruch der Gesellschaft geführt. Die überlebenden Menschen zogen sich in unterirdische Bunker und isolierte Städte zurück in ständiger Angst vor dem Tod und den Toten.

Nur die BBs, Babys mit speziellen Fähigkeiten, sind auf eine Weise mit dem Jenseits verbunden, sodass jeder, der sich an ihre Nabelschnur koppelt, die Geister zumindest für kurze Momente wahrnimmt. Auf diese Weise ist es für ein paar tollkühne Boten möglich, die Oberwelt zu bereisen und die Menschen in ihren Rückzugsorten mit Vorräten zu beliefern.

Einer davon ist Sam Porter Bridges, die Figur, die von Norman Reedus gespielt wird. Er erhält den Auftrag, von Stadt zu Stadt zu reisen, von der Ostküste quer durch die USA bis an die Westküste, um die Städte miteinander zu einem großen Kommunikationsnetzwerk zu verbinden und so die Rückkehr der Menschen an die Erdoberfläche vorzubereiten und den Riss zu schließen. Doch auf dem Weg dorthin erwarten ihn zahlreiche Widrigkeiten und Kojima-typische, extravagante Bösewichte, die gelernt haben, die Macht der Totenwelt wie Magie zu nutzen, dadurch untote Soldaten beschwören, sich teleportieren oder gar die Zeit manipulieren …

Gameplay: ein völlig neues Genre

Hochtrabend kündigte Kojima im Vorfeld an, mit Death Stranding ein neues Genre erfunden zu haben, und - das muss man ihm lassen - es ist ihm gelungen. Death Stranding passt in keine bestehende Schublade, ja, so betont bizarr es sich schon in seiner Geschichte gebärdet, sein Gameplay ist noch viel, viel merkwürdiger, das eigentlich Rätselhafte an diesem Spiel. Möchte man es unbedingt mit bekannten Spielegattungen vergleichen, so kann man Death Stranding als hochgradig experimentelle Mischung aus meditativem Open-World-Walking-Simulator, Online-Survival-Aufbauspiel und dem Chirurgie-Simulator mit Stealth-Action-Elementen beschreiben, das in dieser Kombination vermutlich weniger kurzweiliges Spiel als vielmehr sperrig-abstraktes Gameplay-Kunstwerk sein möchte.

Störrische Steuerung: Zwischen Walking-Simulator und Octodad?

Als Sam Porter Bridges seid ihr in einer menschenleeren Open-World unterwegs, überquert grasbewachsene Hügel und Bergkuppen, durchquert steinige Wüsten und transportiert dabei Vorratsbehälter zwischen den Städten und Bunkern. Unterwegs sammelt ihr Materialien ein, die ihr für das Herstellen neuer Ausrüstung benötigt, und haltet stets nach dem optimalen Weg durch das schwer passierbare Gelände Ausschau – denn das ist der spielerische Kern von Death Stranding.

Nach den ersten kurzen Gameplay-Szenen in einem der vielen Trailer vor etwa einem Jahr spottete manch einer, Death Stranding werde womöglich ein reiner Walking- oder Paketboten-Simulator ohne wesentliche Gameplayelemente, und tatsächlich ist diese Vorstellung gar nicht mal so weit vom Ergebnis entfernt – nur ganz anders als zu erwarten war. Im Gegensatz zu Walking-Simulatoren wie Dear Esther oder Gone Home macht Death Stranding die Fortbewegung nicht zur erzählerischen Methode, auch nicht wie Journey zur interaktiven Erfahrbarmachung einer ästhetischen Spielwelt. Death Stranding macht das „Walking“ zur eigentlichen, zur zentralen spielerischen Herausforderung.

Wie einen Packesel beladet ihr eure Spielfigur für eure Botengänge mit Paketen und Containern. Vor allem im Rucksack auf dem Rücken, aber sogar verschnürt an Armen und Beinen wird jede Körperfläche genutzt, die sich zum Transport eignet. Je schwerer und voluminöser die Last wird, umso schwieriger wird es, das Gleichgewicht zu halten, erst recht auf dem meist unwegsamen Gelände voller Felsen, die euch als Stolpersteine im Weg liegen, Bäche, deren Strömung beim Durchqueren an euch zerrt, und Abhängen, an denen ihr beim Hinabtrippeln konzentriert darauf achten müsst, nicht zu schnell zu werden und zu stürzen.

Sobald ihr das Gleichgewicht verliert – und das passiert angesichts der Vielzahl an Hindernissen ständig – gerät Sam ins Wanken, schließlich ins Stolpern, Taumeln und Purzeln. Wumms, liegt er auf der Fresse. In seinen ersten Stunden fühlte sich Death Stranding für mich an wie der Surgeon Simulator oder eine Big-Budget-Version von Octodad, einem Spiel also, das seine bewusst widerspenstige Steuerung zum Spielkonzept macht. Death Stranding zu spielen, fühlt sich an, als ob man mit 3 Promille und einem Kühlschrank auf dem Rücken durchs Gebirge wandert und dabei verzweifelt versucht, nicht zu stolpern und hinzufallen.

Selten zuvor habe ich ein Spiel so sehr gehasst wie Death Stranding in seinen ersten zehn Stunden. Das ständige Ringen mit der Steuerung war nichts weniger als eine fürchterliche Qual. Doch auch abgesehen davon, war kaum erkennbar, was genau an diesem Spiel eigentlich Spaß machen soll: Das gesamte Gameplay besteht ausschließlich aus einzusammelndem Kram und primitiven Hol-und-bring-Diensten, also genau denjenigen drögen Betätigungen, die andere Entwickler nur als faule Spielzeitstrecker einsetzen, hier aber zum Kernelement erklären. Hätte ich nicht gemusst, ich hätte höchstwahrscheinlich nicht weitergespielt.

Doch irgendwann wird es besser! Spätestens wenn ihr ein Exoskelett anlegen könnt, das die Traglast und dadurch auch Sams Stabilität deutlich erhöht, hört der ständige K(r)ampf mit der Steuerung auf. Auch Fahrzeuge wie Motorräder verkürzen zumindest Teilstrecken der irgendwann sehr langen Laufwege. Zwar ist immer noch fraglich, ob das schlichte Durchqueren der Welt mit so etwas wie „Spaß“ gleichzusetzen ist, manch einer mag Death Stranding schlicht als langweilig empfinden, doch zumindest hört es auf, einfach nur derbe zu nerven, und entfaltet eine merkwürdige Faszination zwischen interaktiver Meditation und krude-experimenteller Spielwelterfahrung.

Denn anders als in herkömmlichen Open-World-Spielen bildet das Erschließen der Spielwelt das zentrale, das im Grunde einzige Thema des spielerischen Erlebnisses, bei dem die genaue Planung der Reiseroute im Mittelpunkt steht: Erhebt sich vor euch auf dem Weg ein Hügel, ist es klüger, einen größeren Umweg in Kauf zu nehmen als ihn zu besteigen und dabei zu riskieren, wertvolle Fracht durch einen Sturz zu beschädigen. Gelangt ihr an einen reißenden Fluss, gilt es die Karte zu studieren, um eine Furt zu finden, über die sich ans andere Ufer gelangen lässt.

Im Gegensatz etwa zu einem Assassin‘s Creed führt der direkte Weg über sämtliche Hindernisse hinweg in Death Stranding in der Regel nicht zum Ziel. Viel eher erfordert das Spiel eure Aufmerksamkeit für die Spielwelt in ähnlicher Weise, wie es auch in The Legend of Zelda: Breath of the Wild den besonderen Reiz ausmachte.

Genialer Onlinemodus: ein Multiplayer-Survival-Aufbauspiel?

Hierzu stehen euch bald zahlreiche Hilfsmittel wie Leitern, Kletterseile und Brücken zur Verfügung, später auch Baugeräte für Bunker, Seilbahnen und gar ganze Straßen, mit denen ihr euch die lebensfeindliche Umgebung nach und nach nicht nur gefügig macht, sondern eine landesweite Infrastruktur herstellt – und das im Verbund mit der Online-Community des Spiels. Denn darin besteht die wahrscheinlich kühnste und kreativste Errungenschaft von Death Stranding: Im Herzen ist es nämlich eigentlich ein Online-Survival-Aufbau-MMO. So ein Genre gibt‘s gar nicht? Jetzt schon, Kojima hat es gerade eben erfunden.

Alles, was ihr in der Welt von Death Stranding macht, jede Leiter, die ihr an eine steile Klippe stellt, jede Brücke, die ihr über einen Fluss baut, und jeden Schutzraum, den ihr in die Landschaft setzt, steht nicht nur euch, sondern auch zahlreichen Online-Mitspielern zur Verfügung – und selbstverständlich auch umgekehrt. Zwar lauft ihr in der menschenleeren Welt niemals tatsächlich anderen Spielern über den Weg, nehmt aber ihr Tun in Form ihrer gebauten Konstruktionen wahr. Gelangt ihr etwa an einen reißenden Fluss, so könnt ihr entweder selbst eine Brücke darüber errichten. Oder ihr seht euch erstmal in der Nähe um, ob nicht schon ein anderer Spieler vor euch da war und das für euch erledigt hat.

Verliert ein anderer Spieler beim Stolpern seine Fracht, findet ihr sie in eurer Welt und könnt sie in seinem Namen zustellen. Ist euch der Weg für eine eigene Lieferung zu weit, könnt ihr sie auch nur einen Stück des Weges ausliefern und dann in einem Briefkasten für einen anderen Spieler hinterlegen, der dann den Rest übernimmt. Wie in Dark Souls hinterlassen sich die Spieler gegenseitig Nachrichten und Hinweisschilder in der Landschaft, die auf Gefahren voraus oder geheime Passagen hin deuten. Auf diese Weise wird die Spielwelt von Death Stranding mit der Zeit zu einem virtuellen Unternehmen aus Postboten und Bauarbeitern, die (wie Kevin Costner einst in dem unsäglichen Postman-Kinofilm) gemeinsam an der großen Vision eines postapokalyptischen Amerikas als Logistik-Netzwerk arbeiten.

An größeren Bauvorhaben wie Seilbahnen und Straßen müssen die Spieler sogar zusammenarbeiten und zunächst das passende Material wie Metalle und Keramik beschaffen und am Baugerät abliefern, damit es seinen Zweck erfüllen kann. Auf diese Weise wird die menschenleere Welt mit zunehmender Spielzeit nach und nach erschlossen und urbar gemacht und wenn schon nicht mit echtem Leben, so doch einer Art verwunschenem Echo von Leben gefüllt.

Mein bisher schönster, ein regelrecht ehrfürchtiger Moment mit Death Stranding war der, als alle Spieler gemeinsam an einer Straße – ach, was sag ich: einer richtigen Autobahn! - durch die komplette Spielwelt hindurch bauten und diese allmählich Formen annahm, bis sie schließlich die mehrere Kilometer große Map vom einen bis zum anderen Ende komplett durchmaß. All die Wege über Stock und Stein, die man sich zuvor mühsam Schritt für Schritt erkämpfen musste, nahm man nun in Windeseile einfach mit dem Motorrad.

Bis es dazu kommt, vergehen jedoch mühsame Stunden. Denn um eine Konstruktion in die Landschaft zu setzen, müsst ihr wie bei allem in diesem Spiel: viel latschen, latschen, latschen. Genau wie in diesem Test, ist die Story des Spiels zu diesem Zeitpunkt übrigens fast vollständig in den Hintergrund gerückt und gerät zwischenzeitlich beinahe schon in Vergessenheit.

Lediglich Randnotiz: Stealth und Action

Der Großteil der 50 Stunden, die für Death Stranding benötigt werden, besteht aus diesem schrittweisen Aneignen seiner Spielwelt: dem sorgfältigen Planen der Reiseroute, dem Absolvieren von Botengängen, dem allmählichen Erschließen der Landschaft.

Doch natürlich trefft ihr auf euren Reisen auch immer wieder auf Gegner: Banditen etwa, die sich in den meisten Fällen durch primitives Button-Mashing niederknüppeln lassen. Später könnt ihr ihrer auch mit allerlei Schießeisen Herr werden, was spielerisch kaum tiefgründiger ausfällt. Da sie zudem immer in denselben Zonen spawnen, die ihr auf euren Botengängen häufig mehrfach hintereinander erneut durchqueren müsst, nerven sie meist einfach nur tierisch.

Zumindest auf den ersten Blick interessanter fallen die gelegentlichen Begegnungen mit den Geistern aus. In diesen Momenten spielt Kojima beispiellos gekonnt auf der Atmosphäreklaviatur. Der Regen peitscht ins Gesicht, der Himmel zieht sich duster zusammen und überall lauert die unsichtbare, tödliche Gefahr. Vorsichtig, gebückt und leise schleicht ihr durch die Todeszone. Mit eurem Schultersensor lasst ihr die Gegner lediglich für Augenblicke wie im Flackern eines Blitzes schemenhaft sichtbar werden, bevor sie sofort wieder lediglich als bedrohliche Ahnung wahrnehmbar sind. Kommt ihr ihnen zu nahe hilft nur: Luftanhalten und vorsichtig vorbeischleichen. Doch die Luft in den Lungen ist endlich. Und wenn dann noch das Baby vor Angst zu schreien beginnt, seid ihr den Monstern hilflos ausgeliefert …

Wird Sam von den Geistern entdeckt, reißen sie ihn in ihr Zwischenreich. Das bedeutet noch nicht das Game Over. Stattdessen seht ihr euch in einer Vorhölle wieder, aus der ihr eine letzte Chance zum Entkommen erhaltet. Die Landschaft wird dann mit dickflüssigem Teer und jenseitiger Kreaturen geflutet, die Sam nach dem Leben trachten. Gelingt es ihm, die kontaminierte Zone zu verlassen, ist die Gefahr gebannt. Wenn nicht: im Wortsinne Pech gehabt ...

Inszenatorisch fallen diese Szenen zweifellos wuchtig aus, spielerisch hingegen so banal wie fast alles in Death Stranding. Das Schleichen selbst ist wenig herausfordernd, erst recht im späteren Spielverlauf, wenn sich die Gegner auch mit heimlichen Dolchstößen und sogar Granaten aus dem Weg räumen lassen. Statt zu fesseln, nerven solche Passagen eher durch das unablässige Anpingen der Geister mit dem Sonar, das extrem träge Waten durch den Morast, falls man es verbockt hat, und die Aussicht, im schlimmsten Fall an einen mehrere Minuten zurückliegenden Speicherpunkt zurückgeworfen zu werden. Gleiches lässt sich im Übrigen über die Bosskämpfe sagen: Spektakulär inszeniert, grafisch mit das Beste, was Videospiele jemals hervorgebracht haben, spielerisch aber banal bis geradezu primitiv.

Grafik und Sound: ganz großes Kino!

Über die Grafik von Death Stranding lässt sich nicht anders als in Superlativen sprechen. Was Sony hier auf der PS4 (nicht nur auf der Pro, sondern auch auf der normalen) auf den Bildschirm feuert, ist ganz großes Kino. Vor allem die Gesichtsanimationen der Hollywood-Schauspieler wie Norman Reedus (The Walking Dead), Mads Mikkelsen (Casino Royale, Hannibal) oder Lea Seydoux (James Bond: Spectre, Blau ist eine warme Farbe) lassen selbst mit dem Feldstecher nicht das Uncanny Valley maskenhafter Mimik erkennen, wie es kürzlich etwa noch das in dieser Hinsicht ebenfalls sehr aufwändig produzierte Man of Medan durchzog.

In der reinen Produktionsqualität residiert Death Stranding in einer Liga, die bislang allenfalls von Red Dead Redemption 2, Uncharted 4 und God of War bespielt wurde. Erst recht unter dem Gesichtspunkt, dass es sich dabei um ein Open-World-Spiel mit kilometerweiter Sicht handelt, kann ich kaum glauben, es noch mit der aktuellen und nicht schon mit der nächsten Konsolengeneration zu tun zu haben. Würden alle Spiele auf der PS4 so aussehen, wir bräuchten überhaupt keine Playstation 5.

Wie die Engine ihre Spielwelt mit Licht, Reflexionen, dezentem Rauch und Nebel zu einer Plastizität verhilft, ist schlicht und ergreifend sensationell. Ich will gar nicht mehr ins Detail gehen. Lasst mich lediglich versichern: Alles, was ihr in den Trailern zu sehen bekommt, sieht genau so in Echtzeit berechnet im Spiel aus. Phänomenal! Auch bei seinem Art-Design lässt Death Stranding die Handschrift wahrer Meister erkennen. Wie hier der Look der Zukunft nicht einfach nur als technologische Verlängerung der Gegenwart sondern regelrecht als komplettes Corporate Design entworfen wurde – geradezu visionär!

Allerdings: Wie fast allem in diesem Spiel folgt auf jeden Daumen-hoch ein sofortiges Aber. Denn indem weite Teile der Spielwelt unbelebt und generisch wirken, aus den immer gleichen Bauteilen von Gras, Fels und Sand zusammengesetzt sind, gelingt es ihr nur gelegentlich bis höchst selten, staunenswerte Panorama-Momente zu erzeugen, wie sie diese Art Open-World-Spiele eigentlich auszeichnen. Während ich in Red Dead Redemption und sogar dem technisch im direkten Vergleich geradezu minderwertigen Zelda: Breath of the Wild regelmäßig innehalten und die Landschaft bestaunen musste, erlebte ich solcherart kontemplative Momente in Death Stranding so gut wie gar nicht. Dafür sieht die Umgebung überall zu gleichförmig, wenn nicht sogar zu sagen: trist und langweilig aus.

Über jeden Zweifel erhaben ist zudem das Sounddesign. Allein schon in den Menüs, wo jedes Umblättern, Bestätigen und Auswählen mit kleinen Pieps- und Klickgeräuschen geradezu physisch spürbar gemacht wird, stellt es wahrscheinlich das brillanteste seit der Erfindung von R2-D2 dar. Genau wie Death Stranding im Aussehen seiner futuristischen Apparate und Konstruktionen implizit Hunderte Jahre Technikgeschichte mitdenkt, so erzählt es allein über den Klang dieser Welt und ihrer Objekte - dem Flüstern des Windes oder dem Summen der Motorradbatterie - alles über diese Zukunft, das man darüber wissen muss, ohne je ein Wort verlieren zu müssen.

Dass Sony bei der deutschen Synchronisation traditionell ein extrem hohes Niveau erreicht, ist spätestens seit God of War und Detroit: Become Human bekannt, und Death Stranding macht in dieser Hinsicht keine Ausmaße. Dass Norman Reedus nicht mit seiner aus Walking Dead bekannten Synchronstimme spricht, irritiert zwar im ersten Moment, ist aber nach kürzester Zeit schon vergessen.

Und sonst so? Ganz viel Kojima-Blödsinn

In der ersten Gameplay-Szene, die es aus Death Stranding zu sehen hab, pinkelte die Figur von Norman Reedus in den Wald, woraufhin dort ein Fliegenpilz wuchs, und ja, man muss sich tatsächlich regelmäßig im Spiel erleichtern, sollte das aber besser nicht im Freien, sondern auf der Toilette tun, denn dort wird aus dem abgelassenen Urin eine explosive Mischung für eure Granaten gewonnen. Ihr könnt euch sogar entscheiden, ob ihr lieber im Sitzen oder im Stehen euer Geschäft verrichten wollt, was die chemische Zusammensetzung des Sprengstoffs beeinflusst.

Death Stranding ist bis obenhin voll mit solcherlei für Hideo Kojima typischem Unfug. Die Gesetzmäßigkeiten dieser Welt sind in jedem ihrer Bestandteile maximal merkwürdig bis geradezu abartig: Die Patronen eurer Schusswaffen sind mit Blut geladen, das aus eurem Körper gezapft wird, weil nur dieses den Gespenstern schadet. Statt Erfahrungspunkten sammelt ihr Likes von Auftraggebern und anderen Spielern, und Regen beschleunigt den Lauf der Zeit. Um eure Gesundheit wiederherzustellen, verzehrt ihr lebende Raupen, und für den Ausdauerboost gibt es eine etwas peinliche Kooperation mit Monster-Energy-Getränkedosen. Eine Nebenfigur trägt eine expressive Totenkopfmaske, eine andere wurde wie Frankensteins Monster aus Kadavern zusammengeflickt und wiederum eine andere stirbt aufgrund eines Herzfehlers alle paar Minuten, um nach einem kurzen Koma von ihrem Defibrillator zurück ins Leben geholt zu werden.

Das ganze Spiel ist von einer geradezu psychosomatischen Zwanghaftigkeit zur betont surrealen Symbolik durchzogen, die vieles im Unscharfen lässt, bei genauem Hinsehen aber auch nicht mehr erkennen lässt und sich wohl lediglich auf brachiale Weise wichtig machen will. Hier ist alles so bemüht schräg, dass das Spiel wie sein Protagonist notwendigerweise irgendwann nur noch torkelnd unterwegs ist. Da man die meiste Zeit über in der Einsamkeit der Open World unterwegs ist, wirkt die Geschichte ohnehin vom eigentlichen Spiel losgelöst und findet lediglich in den Zwischensequenzen zwischen den einzelnen Kapiteln statt – wie früher in Spielen wie Warcraft 3, als Zwischensequenzen noch die Belohnung für erfolgreich absolvierte Level waren.

Abgesehen vom ständigen Einführen neuer Bösewichter, Helferfiguren und dem Darlegen von deren Beweggründen passiert ohnehin nicht viel, außer vieler Monologe, die lang und breit die verschwurbelte Logik hinter dem Geschehen erklären. Wenn Geschichten nur noch dazu dienen, ihre eigenen Zusammenhänge herzustellen, die Lücken zu füllen und die Gesetzmäßigkeiten aufzurollen, die sie selbst geschaffen haben, sich also nur noch mit sich selbst und der eigenen Exzentrik beschäftigen, läuft etwas schief.

Dass die Charaktere dabei in jeder zweiten Szene in Tränen ausbrechen, veranschaulicht deutlich die narrative Brechstange, mit der eine Emotionalität heraufbeschwören werden soll, die dem Autor mit erzählerischen Mitteln und schreiberischer Raffinesse nicht gelingen will. Death Stranding entlarvt dadurch Kojimas vermeintliches Talent fürs Geschichtenerzählen als eine Mischung aus eitler Wichtigtuerei, dramaturgischer Unbeholfenheit und prätentiöser Scharlatanerie.

Die große Frage: Was taugt Death Stranding denn nun?

Death Stranding hat es mir nicht leicht gemacht, es zu mögen. Tatsächlich hat es nichts unversucht gelassen, genau das zu verhindern. Es ist sperrig. Es ist störrisch. Es ist eitel. Und wenn es nicht gerade nervt, ist es über weite Strecken schlicht und ergreifend einfach nur fürchterlich langweilig.

Immer wenn ich kurz davor war, es für seine kühne Vision wertzuschätzen und die Kompromisslosigkeit zu bewundern, mit der Kojima sie verfolgt, trat es mir gehässig gegens Schienbein und gab sich offenbar vorsätzlich größte Mühe, jede aufkeimende Liebe sofort wieder im Keim zu ersticken. Kaum hatte ich etwa die Spielwelt endlich in ihrer vollen Größe erkundet und erschlossen, schickte mich das Spiel schon wieder zurück bis ganz an seinen Anfang. Und damit das auch möglichst lange dauert, gibt es mir eine Nebenmission dazu mit auf den Weg, wegen der ich den ganzen Weg zu Fuß zurücklegen muss, ohne ein Fahrzeug benutzen zu dürfen. Mit einer Champagnerflasche in der Hand. Die bei Erschütterung jederzeit zerbrechen kann. Ich habe wirklich versucht Death Stranding zu mögen, aber das macht es mir verdammt, verdammt schwer.

Death Stranding warf in seiner Werbekampagne im Vorfeld viele Fragen auf und lässt mich nun, da ich es durchgespielt habe, mit mindestens ebenso vielen zurück. Die wichtigste Frage, die Kojima mit Death Stranding zu stellen scheint, ist wahrscheinlich die provokanteste, die jemals ein Spieleentwickler auszusprechen gewagt hat: Muss ein Spiel eigentlich zwingend Spaß machen?

25 Stunden, so meinte Kojima kürzlich in einem Interview, dauere es, bis man mit Death Stranding Spaß habe, und was einmal mehr wie ein für ihn typischer Versuch klingt, uns alle an der Nase herumzuführen, drückt nichts weniger als die Essenz dieses Spiels aus: Death Stranding ist kein Spiel, das Spaß machen will. Es ist Kojimas radikale Vision von einem Kunstwerk, das sich lediglich als Spiel tarnt. Death Stranding will es nicht jedem recht machen wie etwa die Spiele von Ubisoft, zweifellos ist Death Stranding kein Spiel für die breite Masse. Es will euch bewusst triezen und Knüppel zwischen die Beine werfen, um euch herauszufordern, es als das zu verehren, was es ist: kein Spiel, das sich dem profanen Vergnügen verschreibt, sondern ein experimentelles Gameplay-Kunstwerk, das mit euch, seinen Spielern, spielt – und nicht umgekehrt.

Hier sind die Ecken und Kanten bewusst platziert, damit ihr euch an ihnen stoßt, Schmerzen und blaue Flecken zuzieht. Viele werden es dafür hassen, viele werden es einfach nur fürchterlich öde finden. Doch hinter der spröden Fassade verbirgt sich eine kraftvolle Vision, wie sie in dieser Radikalität lange kein Entwickler zu formulieren wagte. Wer sich darauf einlassen kann, der wird Death Stranding irgendwann für seinen Wagemut bewundern, es als einzigartige Erfahrung wertschätzen.

Doch will man so etwas ernsthaft spielen? Für mich persönlich lautet die Antwort: nein. Keine zehn Pferde könnten mich freiwillig nochmal dazu bringen. Ich halte Death Stranding für das Werk eines selbstgefälligen Spiele-Superstars, der sich nur noch um den Horizont seiner eigenen Kreativität und Fanboys dreht und dabei sein Publikum mittlerweile komplett aus dem Blick verloren hat. Dieses Vorgehen damit zu rechtfertigen, dass man es „Kunst“ nennt, darf nicht als Totschlagargument dienen.

Und dennoch lässt mich Death Stranding in vielen Punkten ratlos zurück. Stünde nicht der Name Kojima hinter diesem Spiel und eine Produktionsqualität dahinter, die ihresgleichen sucht, wahrscheinlich würde kein Hahn danach krähen und es als krudes Indie-Experiment für eine Nischenzielgruppe schnell wieder vergessen. Insofern kann man vor Kojima gar nicht tief genug den Hut ziehen, dass jemand mit einem solch unbeugsamen Innovationswillen im ansonsten maximal weichgespülten AAA-Bereich ein derartiges Wagnis eingeht.

Doch was genau wagt er denn damit nun eigentlich? Was will er mir mit seinem Spiel sagen? Ist es wirklich das radikale Kunstwerk, das ich in ihm zu erkennen glaube? Oder hat er am Ende einfach nur komplett darin versagt, ein unterhaltsames Spiel abzuliefern? Sehen wir hier einem visionären Genie beim glorreichen Scheitern zu oder nur seiner Selbstgefälligkeit, weil ihm sein Publikum mittlerweile so egal ist, dass er sich gar keine Gedanken mehr macht, ob sein Spiel unterhält, weil er in einer Art exzentrischem Wahn ausschließlich daran interessiert ist, seine ausgefallenen Ideen umzusetzen?

Ist Hideo Kojima womöglich so etwas wie der Joseph Beuys der Spielebranche, der mit der Wucht eines Vorschlaghammers ihr Selbstverständnis von sich als Vergnügungsindustrie zum Einsturz bringen will? Oder wenigstens der Christian Morgenstern, der sich mit ihren eigenen Mitteln insgeheim über uns alle lustig macht, ohne dass es einer merkt? Mich würde es jedenfalls nicht überraschen, wenn er morgen aus der Torte springt, „April, April“ ruft und Death Stranding als epochalen Troll-Versuch enthüllt.

Egal, was sich am Ende herausstellt: dass ein Spiel überhaupt solche Fragen aufwirft, ist für sich betrachtet schonmal mehr als bemerkenswert. Death Stranding ist ein Spiel, über das die nächsten Wochen viel zu diskutieren sein wird, das polarisieren und Gemüter erhitzen wird. Nur kaltlassen wird es niemanden. Und genau das ist es, was große Kunst letztendlich auszeichnet.

Ich kann und muss Death Stranding schätzen und sogar bewundern für das, was es ist und sein will. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendjemand Freude daran hat.

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