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Special - Ahmet-Kolumne: Zu alt : Dei Minecraft sei Gesicht

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    Wie alle greisen Menschen vor mir werde ich Zeuge kultureller Phänomene, die sich meinem Verständnis entziehen. Als Elvis anno dazumal auf der Bühne stand, um mit seinem Hüftschwung reihenweise Teenager in Hysterie zu versetzen, dachten sich die alten Säcke auch: „WTF? Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?“ Ich mag Elvis, aber wenn ich sehe, dass über 30 Millionen Menschen den YouTube-Channel von PewDiePie abonnieren, dann geht mir das Messer direkt in der Hose auf. 30 Millionen Leute schaufeln sich tonnenweise Clips rein, die ich keine fünf Sekunden ertrage. Das gilt übrigens auch für andere Let’s-Play-Geschichten. Wie kann man sich Videos ansehen, die jemanden beim Spielen zeigen? Wieso spielt ihr nicht selbst? Zu faul oder was? Das ist ja so, als würde man sich Videos ansehen, die Menschen beim Kochen oder F*cken zeigen.

    Forever alone

    Außerdem beobachte ich seit Jahren den zunehmenden Fokus auf Multiplayer mit Sorge. Früher haben wir gespielt, um den Alltag und die Menschen um uns herum zu vergessen. Heute rennen alle in Gruppen durch die Levels und quatschen sich gegenseitig voll. Aus beruflichen Gründen bin ich gezwungen, alle Spielmodi auszuprobieren, aber das wird immer mehr zur Qual, weil die Mehrspielerkomponente heute oft den Löwenanteil ausmacht. Titanfall ist so ein Beispiel und natürlich Battlefield und Call of Duty. Interessanterweise kreischen mir da hauptsächlich 12-jährige Kids in die Ohren, obwohl die Titel nur für Erwachsene freigegeben sind. Selbst Tomb Raider bietet jetzt Multiplayer. Vor zehn Jahren hätte man sich bereits über den Gedanken totgelacht.

    Was aber ganz besonders verletzt: The Last of Us – Meisterwerk der interaktiven Unterhaltung und Lehrstück in Sachen Videospiel-Erzählkunst – hat ebenfalls eine Multiplayer-Option. Das ist so, als hätte Francis Ford Coppola damals nicht nur "Der Pate" erschaffen, sondern auch gleich noch "Der Pate: Das Musical". Mit diesem Ich-bring-euch-alle-um-Modus kackt Naughty Dog auf sein eigenes Meisterwerk. Bis heute weigere ich mich deshalb, den Multiplayer-Modus von The Last of Us anzuerkennen. Ich bin quasi die Hamas und The-Last-of-Us-Multiplayer ist Israel. Der Witz ist: Das einzige Genre, für das ich mir einen Multiplayer-Modus wünsche, hat noch keinen. Ich rede vom guten alten Point-&-Click-Adventure. Es gab hier und da schon mal kleine Experimente, aber nichts Gescheites. Ich will mit einem Freund knifflige Rätsel lösen können, ganz ohne Action oder Zeitdruck.

    Ahmets rechtlich verbindliche Check-Liste für Entwickler

    Was ist jetzt die Moral von der Geschichte? Warum langweilt uns der alte Sack mit seinen Problemen? Nun, ich habe eine Anleitung für Spielentwickler erstellt beziehungsweise eine Check-Liste. Wenn man jeden Punkt abhaken kann, bekommt das Spiel grünes Licht. Ich werde die Liste an den BIU (Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware) weiterleiten und auch wenn der Verband sonst nichts auf die Reihe bekommt, hoffe ich darauf, dass er „Ahmets rechtlich verbindliche Check-Liste für Entwickler“ (ARVCFE) ganz oben auf die Agenda setzt. Wenn sich alle an diese Liste halten würden, dann wäre die Welt der Videospiele in nur wenigen Monaten wieder auf dem Weg nach vorne.

    Mein Traum wäre ein weltweit gültiges ARVCFE-Gesetz, das diese Punkte umfasst:

    1. Der Protagonist ist männlich. Kein Metrosexueller, sondern dem Macho-Ideal (Ende 80er, Anfang 90er) entsprechend. Frisur und Kleidung sehen nicht so aus, als hätte man sie einem japanischen Teenie-Idol von der Haut gerissen. Außerdem sind spackige Hipster-Helden wie in inFAMOUS: Second Son verboten. Weibliche Spielfiguren haben allesamt geil zu sein und keine Meinung zu haben. Kinder tauchen nur kurz auf und sind nicht spielbar. Sollten nervige oder vorlaute Bälger auftauchen, darf man ihnen natürlich körperliche Gewalt angedeihen lassen.

    2. Die Einzelspielerkampagne macht mindestens 80 Prozent des Gesamtpakets aus. Wir garantieren zudem, dass der Multiplayer-Modus eine sinnvolle Erweiterung der Singleplayer-Kampagne darstellt.

    3. Die Story unseres Spiels lässt sich in einer Zeile erklären. Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass Gesellschaftskritik nur auf subtile Art geschehen darf. Die Geschichte des Spiels ist abgeschlossen und es gibt keinen Cliffhanger. Sämtliche Zwischensequenzen lassen sich sofort abbrechen

    4. Es gibt keine Mikrotransaktionen. Keine In-App-Kaufscheiße. Keine Episodic-Content-Grütze. Vorbesteller und Limited-Edition-Käufer erhalten keine exklusiven Inhalte, auf die ein Normalkäufer neidisch sein könnte.

    5. Wir garantieren, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre kein HD-Remake erscheint.

    6. Neben der Standardversion des Spiels existiert maximal eine weitere Fassung (zum Beispiel eine Collectors Edition).

    7. Unser Soundtrack klingt nicht wie Hans Zimmer für Arme und auch nicht nach Skrillex.

    8. Wir versuchen nicht, ein total billiges Scheißspiel durch pseudobedeutsames Geschwurbel zu tarnen. Wir sind uns dessen bewusst, dass unser Spiel im Fall einer Zuwiderhandlung genauso aus dem Verkehr gezogen wird wie Thomas was alone und Gone Home.

    9. Es gibt eine „Very-easy“-Einstellung und Cheat-Optionen für „unendlich Energie“, „unendlich Munition“ und „unendlich Zeitlupe“. Achievements gibt’s trotzdem.

    10. Unser Spiel erinnert nicht mal entfernt an Minecraft.

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    Über den Autor

    Unser Kolumnist Ahmet Iscitürk schreibt seit 16 Jahren über Spiele und müsste deshalb schon längst für die andere Seite arbeiten - zum Beispiel als PR-Manager. Darauf hat er aber keinen Bock. Ebenso wenig möchte er YouTube-Videos machen, denn er ist zu fett für die Kamera. Das Schreiben ist seine einzige Fähigkeit und darum wird er mit den Fingern auf der Tastatur sterben. Sein Credo lautet: „Lebe deinen Traum, auch wenn der Traum scheiße ist.“ Seinen Untergang könnt ihr unter anderem auf Twitter live miterleben.

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