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Test - Scorn : Ekel-Horror mit fantastischer Optik, aber spielerischen Mängeln

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Die bewegte Entwicklungsgeschichte von Scorn liefert durchaus Grund zur Skepsis. Nach einer missglückten Kickstarter-Kampagne 2014 wurde der Titel im Oktober 2017 beim zweiten Versuch doch noch finanziert und nun, satte fünf Jahre später, endlich fertiggestellt. Das Ergebnis sieht fantastisch aus und könnte ein gelungener Ekel-Walking-Simulator sein, wiegt aber spielerisch schwer an zu viel Ballast. Die serbischen Entwickler von Ebb Software verlieren sich in spröden Puzzles und sinnbefreiten Kämpfen, worunter das Horror-Erlebnis leidet.

Scorn gelang es bereits lange vor Release, allein durch seine Optik das Interesse der Leute für sich zu gewinnen. Das serbische Entwicklerstudio Ebb Software macht keinen Hehl um seine inspiratorischen Vorbilder für den Grafikstil und nutzt sie im Gegenteil gezielt als Verkaufsargumente. Die Werke der Horror-Großmeister H.R. Giger und Zdzislaw Beksiński werden explizit als Blaupausen genannt und das blutet der Titel mit jedem Pixel. Doch weil der Grundsatz „Style over Substance“ noch nie ein Heilsbringer war, habe ich Scorn genauer auf den verfaulten Zahn gefühlt und gehe gut sechs Stunden später mit zwiegespaltenen Gefühlen aus dem Horror-Trip heraus.

Der nackte Wahnsinn

Viel erklärt wird euch anfangs nicht. Ihr landet nackt, zerhackt und orientierungslos in einer fremdartigen Welt, werft einen kurzen Blick auf einen mysteriösen Turm und stürzt anschließend ein paar Etagen in die Tiefe. Ein Tutorial, eine grobe Marschrichtung oder anderweitige Hilfestellungen sucht ihr vergebens. Das mag ein gewollter Kniff von Ebb Software sein, um ein Gefühl von Hilflosigkeit zu erzeugen, vielleicht sogar eine langsam hochkochende Panik zu beschwören. Bei mir sorgte der Einstieg aber für Gähnen und bisweilen auch Frust – was ausgerechnet auch dem Grafikstil geschuldet war.

Das Aushängeschild von Scorn bildet gleichzeitig auch seine Achillesverse. Oftmals sehen sich die Umgebungen zu ähnlich, weshalb ständig die Gefahr besteht sich zu verlaufen. Die ersten Rätsel waren schnell gelöst, doch dann zog ich eine geschlagene Viertelstunde durch die immer gleichen Gänge auf der Suche nach dem richtigen Weg. Schließlich fand sich der zum Vorankommen nötige Apparat in einem Zimmer, dessen Tür ich meinem Gefühl nach schon mindestens fünfmal durchschritten hatte – ich schwöre, so schlecht ist mein Orientierungssinn nun wirklich nicht!

Versteht mich jetzt aber nicht falsch, die Optik von Scorn ist ein wahrer Leckerbissen. Ob von Fleischlappen überwucherte Gänge, industrielle Gewölbe mit organisch anmutenden Elementen oder eine Art Kapelle, in deren Wänden Skulpturen von kopulierenden Menschen und eindeutig von Genitalien inspirierte Konstrukte eingelassen sind: Die Stimmung wirkt bedrohlich, mysteriös und auch ekelhaft, oftmals fühlt es sich so an, als würde ich durch den Enddarm eines außerirdischen Wesens wandeln. Giger und Beksiński wären stolz.

Perfekt ergänzt wird die visuelle Darstellung von der Soundkulisse. Bis auf wenige Ambient-Sounds gibt es keine Musik, stattdessen hört ihr entfernte Schreie, das Schmatzen von Fleisch unter euren nackten Füßen und auch knackende (oder gar brechende) Knochen dringen immer wieder in eure Gehörgänge. Stimmung: Eins mit Sternchen.

Beängstigend simple Schalterrätsel

Im Kern stellt Scorn eine Mischung aus Walking-Simulator und Puzzle-Adventure dar. Den größten Teil der Zeit streift ihr durch die Welt, stets auf der Suche nach dem nächsten Höllengerät, das ihr zum Vorankommen aktivieren müsst. Abgesehen davon lauern auch immer wieder Rätsel auf euch, die sich häufig darauf beschränken, ein Objekt mit einem abstrakt gestalteten Kran an die richtige Stelle zu schieben. Vereinzelt warten auch kniffligere Aufgaben, die aber bei Weitem keinen IQ jenseits der 130 voraussetzen.

Oftmals erinnert mich Scorn an frühe Browserspielchen, nur dass eben alles so wirkt, als fände es auf dem Planeten LV-426 aus „Alien“ statt. Beispielsweise dreht ihr an einem Apparat Ringe so lange in Stellung, bis ihre jeweilige Öffnung auf die Mitte des Geräts zeigt. Dabei entkoppelt ihr sie und verbindet sie wieder, um alle zeitgleich korrekt auszurichten.

Als Belohnung für das erfolgreiche Lösen der nicht sonderlich kniffligen Aufgaben winkt oftmals direkt ein Schlüssel für den nächsten Abschnitt, an anderen Stellen sind noch ein paar Extraschritte nötig. Früh im Spiel etwa trefft ihr auf eine Art Förderbandsystem, das entfernt an einen Rechenschieber erinnert. Nach Art eines Schiebepuzzles bewegt ihr darin Frachtcontainer hin und her, die wie Alien-Eier wirken, bis ihr schließlich den richtigen vom einen Ende zum anderen manövriert habt. Dadurch setzt sich eine ganze Reihe von Ereignissen in Gang: In dem Gefäß befindet sich ein entstelltes Wesen, das vielleicht mal ein Mensch war – nun aber nur noch einen jammernden Haufen Fleisch darstellt.

Euer Ziel besteht aber keinesfalls darin, das bedauernswerte Geschöpf von seinen Qualen zu befreien. Im Gegenteil befördert ihr es über ein Schienennetz bis zu einem grotesken Operationsstuhl, wo es auf erdenklich brutalste Weise aus seiner Schale gesägt wird, bis nur noch ein einzelner Arm zurückbleibt. Den sammelt ihr auf und setzt ihn an einem verschlossenen Tor als Schlüssel ein.

So faszinierend die Spielwelt in ihrem verstörenden Stil anmutet und sich die Puzzles in ihrer bizarren Fremdartigkeit diesem anpassen, so anspruchslos fallen sie auch aus. Lösen konnte ich sie allesamt durch stumpfes Ausprobieren. Meine grauen Zellen musste ich zu keinem Zeitpunkt ernsthaft beanspruchen. Geschadet hat das dem Erlebnis mit Scorn aber keineswegs, da es genau dadurch erst die Zeit und Gelegenheit gewährt, sich voll und ganz auf seine Atmosphäre, die außergewöhnliche Architektur und die dadurch erzeugte Stimmung einzulassen.

Ballern mit der Fleischkanone

Scorn verlangt euch aber noch mehr ab, als nur zu rätseln und nach dem richtigen Weg Ausschau zu halten. Etwa nach dem ersten Drittel des Spiels erhaltet ihr eine Art Kanone, die über deutlich mehr Tentakeln verfügt, als es eine Wumme für gewöhnlich sollte, und mich entfernt an die Alien-Knarren aus Prey (2006) erinnert. Allerdings taugt das neue Spielzeug zunächst nur für den Nahkampf. Es funktioniert wie ein Schlachtschussapparat auf einer Rinderfarm.

Dieser erzwungene Fokus auf direkte Konfrontationen sorgte bei mir für beständigen Frust, denn die deformierten Gegner landeten immer mindestens einen Treffer und Medipacks sind rar gesät. Oftmals erwies sich Wegrennen als der bessere Weg zum Überleben, auch weil die Feinde meistens in Gruppen auftraten. Ob säurespuckendes Kriechtier oder vierbeiniger Rammbock, Schaden haben sie allesamt gehörig ausgeteilt. Glücklicherweise sind fast alle Kämpfe optional, bis auf einen Bossgegner. Der langweilt in der viertelstündigen Auseinandersetzung mit simpelstem Design: im Kreis laufen, warten, bis er nachlädt, auf die leuchtende Stelle schießen und das alles mehrere Male.

Ja, ballern dürft ihr in Scorn auch. Nach einer Weile findet ihr für eure fleischige Knarre drei weitere Aufsätze, die sie zur Pistole, Schrotflinte oder zum Granatwerfer umfunktionieren. Munition ist allerdings ebenso selten wie Medipacks, jedes abgefeuertes Projektil müsst ihr euch also gut überlegen. Des Weiteren gewinnt das Inventar meinen diesjährigen „Ich bin viel zu kompliziert“-Preis. Per Knopfdruck hält der Charakter ein paar Items hoch, durch Stick-Eingaben wechselt ihr Waffenaufsätze oder seht, was ihr sonst noch rumschleppt. Das braucht ewig lange und während eines Kampfes quasi unmöglich durchführbar. Auch, weil nicht jeder Befehl zuverlässig erkannt wird.

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Zusätzlich erschwert wird Scorn durch den bewusst gewählten Ansatz der Entwickler, euch so wenig wie möglich auf dem Silbertablett zu servieren. Wie ich mich heile, fand ich erst durch Zufall im Menü heraus, weil ich eine Pause einlegte. Selbiges galt für die schnellere Fortbewegung - lange Zeit war ich quälend langsam unterwegs, weil ich schlicht und ergreifend nicht wusste, wie ich schneller vorankomme.

Scorn - Überraschung - Spiel erscheint eine Woche früher laut Trailer

In 2022, dem großen Jahr der Verschiebungen, kann es auch mal in eine andere Richtung gehen. Scorn erscheint nämlich eine Woche früher als geplant, also bereits am 14. statt 21. Oktober.

Wo wir schon bei frustigen Elementen sind: Die Checkpoints liegen zwar größtenteils fair, werfen euch gelegentlich aber auch mehrere Minuten zurück. Oder speichern direkt nach dem Abschluss eines Puzzles, was an sich sinnvoll ist. Doof nur, wenn ein Gegner genau in diesem Moment direkt hinter mir steht und mich nach jedem Neuladen direkt totprügelt. Nur durch eine Kombination aus Glück und einem blitzschnell eingesetzten Medipack konnte ich mich nach fünf Anläufen aus dieser Situation befreien.

Abschließend muss ich noch eine Sache bemängeln: Im Verlauf der Geschichte heftet sich ein ekelhaftes Vieh an den Körper eures bemitleidenswerten Charakters, das ihm zwar einerseits immer bessere Fähigkeiten einbringt. Andererseits verbindet es sich immer tiefer mit seinem Fleisch, was euch jedes Mal etwas Lebensenergie abzieht und nicht zu verhindern ist. In meinen Augen eine höchst fragwürdige und störende Spieldesign-Entscheidung.

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