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Special - Kommentar: Netzneutralität : Warum es uns betrifft

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Netzneutralität ist eines der bedeutendsten Themen der Netzpolitik im 21. Jahrhundert. Auch der Deutsche Bundestag kommt daran nicht mehr vorbei. In der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" beraten sich Politiker und Experten wie Markus Beckedahl (netzpolitik.org), Constanze Kurz (Chaos Computer Club) und Alvar Freude (Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur) genau über dieses Thema. Aber was verbirgt sich hinter diesem sperrigen Begriff und warum ist er gerade auch für uns Videospieler von Bedeutung?

Wenn von Netzneutralität die Rede ist, beschreibt das im Grunde den heutigen Ist-Zustand von Breitbandanschlüssen in Deutschland. Ein Telekommunikationsanbieter wie die Deutsche Telekom stellt euch eine Internet-Leitung zur Verfügung. Alle Datenpakete - ob Gameswelt, E-Mail oder BitTorrent -, die durch diese Leitung gesendet werden, müssen gleich behandelt werden.

Tiefe Paketinspektion

Im Umkehrschluss heißt das: Das Datenpaket mit der Beschriftung „BitTorrent" darf vom Telekommunikationsanbieter nicht künstlich verlangsamt werden, was für euch eine langsamere Geschwindigkeit beim Herunterladen zur Folge hätte, nur um Gameswelt und E-Mails schneller laden zu können. Ebenso dürfen auch keine Datenpakete komplett unterbunden und zurückgehalten werden. Eine der Technologien dahinter heißt "Deep Packet Inspection" und ermöglicht es, einen Blick in diese Pakete zu werfen und sie dementsprechend wie bei der Post in Kategorien einzuteilen.

Was sich nach bloßer Zukunftsmusik aus Science-Fiction-Filmen anhört, passiert aber - wenn auch meist noch mit anderen technischen Mitteln - beim mobilen Internet schon heute. Bei allen großen Anbietern in Deutschland sind sowohl der Tausch von Dateien zwischen zwei Rechnern (Peer-to-Peer) als auch Internet-Telefonie via VoIP nicht möglich. Der Grund ist bei Datenverbindungen über UMTS noch durchaus nachvollziehbar. Eine Funkzelle kann nur eine bestimmte Geschwindigkeit liefern, die sich alle Empfänger teilen müssen. Datenintensive Anwendungen wie Peer-to-Peer oder VoIP würden den Sendemast schnell zum Glühen bringen.

Klüngeleien hinter verschlossenen Türen

Diese Diskriminierung von Datenpaketen wird aber immer mehr auch ein Thema für die normalen Breitbandanschlüsse. In den USA sollen Google und der Telekommunikationsanbieter Verizon darüber verhandeln, dass Dienste des Suchmaschinenriesen bevorzugt behandelt werden. Früher oder später würde dieses Vorgehen jegliche Konkurrenz sowie kleinere Web-Unternehmen und nichtkommerzielle Projekte im Keim ersticken, weil sie nur über den Trampelpfad des Internets zu erreichen wären. Aber auch die Deutsche Telekom hegt derlei Begehrlichkeiten. Die Folge für Privatpersonen könnte eine Vielzahl von Bezahlangeboten im Internet sein, da sich diese Seiten die Ausgaben für die Luxusautobahn von den Nutzern wieder zurückholen wollen. Denkbar ist auch, dass die höheren Kosten für die Telekommunikationsanbieter an die Kunden weitergegeben werden.

Ganz konkret kann man ein mögliches Szenario skizzieren. Für den Preis von 20 Euro erhaltet ihr Zugang zu einem Basis-Internet und könnt E-Mails abrufen. Erst für einen Aufpreis von 5 Euro könntet ihr dann entweder Wikipedia und andere Lexika aufrufen oder erhaltet Zugang zu Video-Portalen wie YouTube oder MyVideo. Diese zusätzlichen Kosten für die Endkunden - so argumentieren die Telekommunikationsanbieter - seien nur fair, da diese Portale eine ungleich höhere Auslastung des Netzes verursachen. Bis 2014, so rechnet der Netzwerkspezialist Cisco hoch, könnten Peer-to-Peer, Filehoster und Streaming-Angebote einen Anteil von 91 Prozent am gesamten Datenverkehr ausmachen.

Die Zukunft mit OnLive & Co.

Zu den datenintensiven Anwendungen gehören auch Videospiele, ganz gleich ob es sich um den mehrere Hundert Megabyte schluckenden Mehrspielermodus oder Download-Plattformen wie Steam handelt. Deshalb betrifft die Netzneutralität - vermutlich sogar mehr noch als alle anderen - die Spielergemeinde. Besonders auch, wenn in Zukunft Angebote wie OnLive an Attraktivität und Nutzern gewinnen. Bei diesem System wird ein Videospiel - analog zu einem Video von YouTube - auf den Rechner gestreamt. Einziger Unterschied: Ihr könnt aktiv ins Geschehen eingreifen, was bei HD-Auflösungen eine Leitung von fünf Mbit erfordert. Aus diesem Grund ist auch die Vorfahrt von OnLive-Paketen auf der Datenautobahn im Gespräch.

Besonders heikel: In den USA bandelt die Firma bereits mit AT&T an, in Großbritannien mit der British Telecom und auch in Deutschland wird man die Partnerschaft mit einem Telekommunikationsanbieter suchen. Die Gefahr ist, dass Spiele über diese Plattform beispielsweise für Kunden von AT&T flüssiger laufen oder erst gar nicht mit Konkurrenzanbietern funktionieren. Bei OnLive und anderen Datenmonstern kommt noch ein besonderes Phänomen hinzu: Dank der Netzneutralität und der Gleichberechtigung konnten sich viele Wirtschaftszweige im Internet erst entwickeln. "In den Kindertagen von Google etwa war Altavista die führende Suchmaschine. Hätte sich Altavista damals ein Vorfahrtsrecht im Internet erkauft, wäre Google wohl nie konkurrenzfähig geworden, trotz besserer Suchmethode", erklärt der Dozent und Rechtsanwalt Simon Schlauri. Gleichzeitig hindert die Netzneutralität auch ein Stück weit die Entwicklung neuer Angebote und die Weiterentwicklung des Internets.

Schwierige Entscheidungslage

Eine Argumentation, die man beiderseitig nachvollziehen kann. Als Internet-Nutzer sollte man Wert auf die Netzneutralität legen, schließlich ist sie der Grund für die Entstehung vielfältigster Angebote in der realen und in der digitalen Welt. Ob Google, YouTube oder Facebook - ohne Netzneutralität hätte es so manches Start-up schwer gehabt. Aber sie ist eben auch nicht kostenlos und belastet die Telekommunikationsanbieter, die mögliche Kosten von bis zu 50 Milliarden Euro in Deutschland wohl weder allein schultern können noch wollen.

Wohl auch aus diesem Grund hält sich die Politik derzeit noch weitgehend zurück. Mehrere Gesetzesentwürfe von der US-Regulierungsbehörde FCC sind - trotz Unterstützung durch US-Präsident Barack Obama - vom Justizministerium abgewiesen worden. Wie in den USA setzt man auch in Europa darauf, dass sich der Markt durch den Wettbewerb von alleine regulieren wird. Nötigenfalls - so fällt auch das allgemeine Echo der Enquete-Kommission aus - könne man zugunsten der Netzneutralität ja noch "nachsteuern". Hoffentlich nicht erst dann, wenn die Büchse der Pandora schon zu weit geöffnet wurde.

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