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Special - Unter die Haut : Geteiltes Leid

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Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen ist der GDC-Vortrag von Jenova Chen über die Entstehung von Journey erst ein paar Minuten alt. Im brechend vollen Saal gab es stehende Ovationen. Ich hatte Gänsehaut. Der Sprecher hatte Tränen in den Augen, ebenso wie nicht wenige der Zuhörer im Auditorium - keine Übertreibung. Warum schafft es ein Vortrag über dieses Spiel, solche Emotionen zu wecken? Warum schafft es das Spiel Journey, solche Emotionen zu wecken? Warum schaffen das 98 Prozent der restlichen Spiele nicht? Eine Bestandsaufnahme.

Wann habt ihr das letzte Mal geweint, als euer Heimatplanet mit allen Bewohnern vor euren Augen zerbarst? Wann habt ihr das letzte Mal geweint, als ihr eure Armeekameraden im Kugelhagel verloren habt? Wann habt ihr das letzte Mal geweint, als ihr eure Gefährtin aus den Klauen des Endgegners befreit habt? Wie? Noch nie? Kein Wunder.

Lächerlich

Eines ist jetzt schon klar: So technisch beeindruckend und handwerklich hochwertig Battlefield 4 am Ende auch sein wird, es wird in einem Bereich grandios scheitern: bei der Vermittlung von Gefühlen. Laut EA will der Titel wie niemals zuvor Emotionen im Spieler wecken. Das wird aber nicht gelingen, weil die Emotionen nicht nachvollziehbar sind. Sie sind künstlich. Unecht. Und deswegen wirkt das nicht emotional, sondern lächerlich.

Aber wieso werden bei diesem Ego-Shooter keine echten Gefühle im Spieler geweckt? Es liegt nicht an der fehlenden Dramatik. Einem Kameraden und Freund, dem eine Betonplatte aufs Bein gefallen ist, mit dem Messer den Unterschenkel abzutrennen, ist derb dramatisch. Es liegt auch nicht an der realistischen Darstellung. Battlefield 4 sieht extrem realistisch, so realistisch wie nie zuvor aus. Warum wird das Spiel dann in diesem Bereich so grandios scheitern?

Ich fühle deinen Schmerz

Es liegt daran, dass der Spieler die transportierten Emotionen nicht nachvollziehen kann. Wer von uns war schon mal im Krieg? Hoffentlich keiner. Wer von uns kann empfinden, wie man sich in dieser Extremsituation fühlt? Niemand. Gefühle können nicht künstlich in der Entwicklerretorte erzeugt werden. Spiele sind dann gut, wenn sie in uns bekannte Gefühle reproduzieren. Wenn sie uns dazu bringen, uns an Gefühle zu erinnern, die wir selbst irgendwann einmal empfunden haben.

Beispiel Papo & Yo: Die Geschichte und die Handlung hat viele Spieler tief bewegt. Der Macher hat mit diesem Spiel seine Beziehung zu seinem alkoholkranken Vater verarbeitet. Die Frösche sind eine Parabel auf den Alkohol. Frisst das ansonsten friedliche, hilfsbereite Monster diese Frösche, verwandelt es sich in eine unberechenbare Kreatur, die dem Hauptcharakter Angst einflößt.

Das bedeutet nicht, dass man die Emotionen nur spürt, wenn es einen Alkoholiker in der Familie gibt. Es geht um eine grundsätzliche Konstellation: Probleme innerhalb der Familie. Dazu hat jeder Spieler seine persönlichen Erfahrungen gemacht. Jeder kann nachvollziehen, wie kompliziert, anstrengend und frustrierend es ist, wenn es Spannungen zwischen Familienmitgliedern gibt. Wenn Probleme innerhalb einer Familie nicht thematisiert, sondern geleugnet oder totgeschwiegen werden. Wenn das Verhältnis zum Vater, der Mutter oder den Geschwistern gestört ist. Deswegen packt uns Papo & Yo. Deswegen werden in uns echte Emotionen geweckt.

Der Producer des Spiels wurde dafür kritisiert, eine persönliche Krise als Grundlage für ein Spielkonzept zu verwenden. Das zeigt die Dummheit, Oberflächlichkeit und Kurzsichtigkeit, mit denen viele innerhalb dieser Branche noch mit dem Medium Spiel umgehen. Tatsächlich ist das Verarbeiten und Darstellen von persönlichen Erlebnisse die einzige Möglichkeit, echte Emotionen in einem Spiel zu erzeugen und zu übertragen. Auf der GDC hat Manveer Heir, Gameplay Designer von BioWare, während einer Vortragsreihe seine zehn Minuten am Rednerpult genutzt, um sich für das Spiel Papo & Yo zu bedanken. Sichtlich bewegt erzählte er, wie das Spiel die Beziehung zu seinem Bruder widerspiegelt, mit dem er oft im Streit lag. Der Bruder beging vor einigen Jahren Selbstmord. Heir ermutigte seine Branchenkollegen in seinem Vortrag dazu, persönliche Erlebnisse in Spiele einzubauen.

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