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Special - Unter die Haut : Geteiltes Leid

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Vertrauen

Beispiel Journey: Warum waren Spieler von diesem Titel so bewegt? Hier gibt es anfangs nur eine riesige Wüste, ab und zu trifft man einen anderen Spieler. Es gibt keine herkömmliche Kommunikation. Es gibt keine herkömmlichen Missionen oder Aufgaben. Als Spieler erkundet man stumm die Umgebung und weiß nicht, was einen erwartet. Der Spieler wird durch nichts abgelenkt. Das ist genau der Grund, warum Journey den Spieler emotional erreicht und anrührt.

Jede Begegnung mit einem anderen Online-Spieler ist eine besondere Erfahrung. Es geht vor allem darum, einem anderen zu vertrauen. Jemanden, den man bislang nicht kannte und der plötzlich, ungeplant und ohne Vorwarnung auftaucht. Der Spieler muss Vertrauen zu einem Unbekannten fassen. Journey spiegelt die Beziehungen von Menschen wider. Beim Spieler steht der Begleiter im Mittelpunkt, weil es nichts gibt, was von dieser Zweisamkeit ablenkt. Man kann einen anderen Spieler hier nicht verletzten oder umbringen. Es gibt  keinen Streit um Ressourcen. All das, was wir sonst von Spielen gewohnt sind, bietet Journey nicht. Es ist eine digitale, spirituelle Wanderung zu uns selbst. Deswegen weckt Journey echte Emotionen. Deswegen ist es ein großartiges Spiel. Deswegen waren Jenova Chen und viele seiner Zuhörer auf der GDC tief bewegt.

Ausgrenzung

Beispiel Silent Enemy: Das neue Spiel von Minority Media (Papo & Yo) behandelt das Thema Mobbing. Die Spielfigur begegnet immer wieder Raben, die ihr das Leben schwer machen, die sie mit ihrem Verhalten nerven und ärgern, ihr wichtige Dinge wegnehmen. Der Spieler muss sich mit diesen Raben und ihrem Verhalten auf alltägliche Art und Weise auseinandersetzen. Wo in anderen Spielen plump Waffen gezogen werden, muss der Spieler bei Silent Enemy einen Weg finden, mit der Situation zurechtzukommen. Ohne Waffen. Ohne Spezialkräfte. Ohne Hilfe von anderen. Unter anderem muss sich der Spieler via Rollentausch in die Lage der Raben versetzen, um deren Verhalten zu verstehen.

Mit diesem Titel verarbeiten mehrere Mitglieder des Teams ihre unabhängig voneinander gemachten Erfahrungen während der Schulzeit. Als nicht angepasster Einzelgänger wurden sie von den anderen gehänselt und drangsaliert. Sie mussten einen Weg finden, mit dem alltäglichen Mobbing umzugehen. Diese Erfahrungen bilden das Fundament für ein Spiel, das mir und euch mindestens genauso ans Herz gehen wird wie Papo & Yo, weil jeder von uns in der Schule selbst Erlebnisse hatte, als sich eine Gruppe über einen lustig gemacht hat. Als man für seine „komischen“ Klamotten, die falschen Turnschuhe oder die „nicht konforme“ Frisur ausgelacht und ausgegrenzt wurde.

Konsequenzen

Beispiel The Walking Dead: Die vielfach preisgekrönte Serie von Telltale Games hat uns emotional mitgerissen wie kaum ein zweites Spiel. Grund dafür sind nicht Angst und Entsetzen aufgrund der grausamen Zombie-Attacken, sondern die hervorragend dargestellten zwischenmenschlichen Beziehungen unter den Überlebenden. Der Spieler muss sich entscheiden, welche seiner Mitstreiter er rettet und welche er von den Zombies zerfleischen lässt. Er muss Streit schlichten und mit anderen Charakteren argumentieren. Er muss Partei ergreifen, knappe Essensrationen verteilen und Kindern klarmachen, warum sie dabei leer ausgehen.

Jede Entscheidung und Aktion im Spiel wirkt sich dabei direkt auf eure Umgebung aus. Andere Personen misstrauen euch, greifen euch offen vor anderen für eure Entscheidungen an oder arbeiten hinter eurem Rücken, um euren Ruf zu schädigen oder euch bei den anderen zu diskreditieren. Freunde wenden sich enttäuscht von euch ab. Jede Handlung hat tief greifende Konsequenzen für die Gruppe. Telltale Games schafft damit eine perfekte Parabel auf das Zusammenleben mit anderen. Auch im richtigen Leben kann eine falsche Entscheidung oder ein falsches Wort Freundschaften beenden und das Vertrauen zerstören. Situationen, wie sie jeder Mensch in seinem Leben mehrmals durchlebt. Deswegen geht uns The Walking Dead so nahe.

Alltag statt Helden

Damit uns ein Spiel an die Nieren geht und wir dieses Spiel ins Herz schließen, brauchen wir Ankerpunkte aus unserem Alltag. Wir brauchen keine Elitesoldaten, Superhelden, besondere Fähigkeiten oder Riesenwaffen. Wir brauchen keine fremden Galaxien, keine Spukschlösser, keine Kriegsschauplätze. Wir brauchen Otto-Normal-Figuren in Otto-Normal-Szenarien. Wir brauchen mehr Spiele mit Haustieren. Wir brauchen mehr Spiele mit Nachbarn, mit Kindern, mit Eltern, mit Lehrern. Wir brauchen mehr Spiele mit schmerzhaften persönlichsten Ereignissen, die jeder Mensch erfährt. Mit Abschied. Mit Verlust. Mit Trauer. Mit Ablehnung. Mit Freundschaft. Mit Hoffnung. Diese Spiele werden uns mitreißen und uns lange im Gedächtnis bleiben. Diese Spiele haben es verdient, dass wir uns an sie erinnern. Spiele müssen nicht unter die Haut gehen. Sie müssen unter die eigene Haut gehen.

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