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Test - Through the Darkest of Times : Kein Fliegenschiss

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Im gesellschaftlichen Diskurs tun sich Videospiele unter anderem auch deshalb so schwer, als Kulturgut wahrgenommen zu werden, weil sie in der Regel das reine Vergnügen und die wirtschaftlichen Interessen über die eigene gesellschaftliche Relevanz, z. B. in Form einer politischen Haltung oder der Reflexion sozialer Zusammenhänge, stellen. Warum Ausnahmen selten sind, veranschaulicht Through the Darkest of Times, das euch den Auftrag gibt, dem deutschen Widerstand im Dritten Reich in virtueller Form beizuwohnen.

Harter Tobak. Während des laufenden Spiels habe ich mich oft gefragt, ob ich auch in der Realität so gehandelt hätte, wie ich es meinen virtuellen Widerstandskämpfern auftrage. Hätte ich mich der Gefahr ausgesetzt? Hätte ich den Nazis, der SS, den Mitläufern und Duckmäusern des Dritten Reichs die Stirn geboten, meine Mitmenschen zum Kampf aufgerufen, mich im Untergrund versteckt? Ich weiß es nicht. Wer damals in wirtschaftlicher Abhängigkeit lebte oder gar den Frust der späten Zwanzigerjahre am eigenen Leibe ertrug, lief in mehrerer Hinsicht Gefahr, den vereinfachten Antworten der Nazis auf die vorherrschenden Krisen auf den Leim zu gehen.

Und dann gab es noch die Angst. Angst, gesellschaftlich geächtet, verprügelt, ins Kittchen geworfen, ja gar im schlimmsten Fall an die Wand gestellt, aufgeknüpft oder in ein Konzentrationslager gesteckt zu werden. Das sind keine guten Ausreden. Sie rechtfertigen bei niemandem das Ertragen von Ungerechtigkeit oder das Wegsehen vom offensichtlich Falschen. Aber es sind dennoch nachvollziehbare Beweggründe. Feigheit ist menschlich.

So einfach und unverkrampft wie ich meine Spielfiguren in Through the Darkest of Times durch Berlin schicke, war es damals jedenfalls nicht. Es sind nur Mausklicks und Entscheidungen, die ich auf Grundlage von Logik und geschichtlichem Rückblick treffe. Strategisches Bildchenschieben auf einer simpel gestalteten, um nicht zu sagen trocken angelegten Oberfläche, die mehr an ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Brett erinnert als an ein typisches Videospiel-Interface.

Ein Dasein als Mausklick-Rebell

Ich fühle zwar mit meinen Helden, aber ich begebe mich selbst nie in Gefahr. Darum fällt es mir leicht, sie zu riskanten Aktionen auf der spartanischen Stadtkarte zu schicken. Ich lasse sie an Demonstrationen teilnehmen, schicke sie zu Arbeitern, damit sie mit Flugblättern und wörtlich vorgetragenen Argumenten Überzeugungsarbeit leisten. Ich teile Spendengelder auf, besorge nötige Ausrüstung, versuche, das Beste aus einer misslichen Situation zu machen.

Wie schlimm es um Deutschland steht, verraten mir regelmäßig aufgetischte Zeitungsschlagzeilen und kurze Erzählsequenzen, die die wichtigsten Stationen der Machtergreifung, wie auch der Propagandamaschine der Nazis ausführlich darlegen. Seltsam ist nur, dass Ereignisse wie der Reichstagsbrand oder die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes in meiner virtuellen Zeitlinie ein paar Tage später stattfinden als es in der Realität der Fall war.

Das könnte womöglich den Aktionen meiner Widerstandsgruppe zu verdanken sein, denn die Entwickler von Paintbucket Games behaupten, man könne Teile der Geschichte beeinflussen und abändern. Wie hoch mein Einfluss ist und welche Nuancen ich setze, merke ich jedoch nie, weil ich dafür kein Feedback bekomme.

Haben die Flugblätter, die ich für teures Geld drucken und verbreiten ließ, ihre Leser überzeugt? Angeblich schon, wenn ich dem Auftragsbericht glauben schenke, aber inwiefern ich damit etwas gesellschaftlich bewege, weiß ich nicht. Ich sitze immer nur vor meinem Stadtplan und verteile Aufgaben oder lese gut geschriebene, wenn auch bedrückende Handlungsabfolgen in Zwischensequenzen, bei denen mir immer wieder mal eine Wahl zwischen zwei oder drei Entscheidungen bleibt. Nicht selten sind es moralische Fragen, die ich beantworten muss.

Egal, wie ich mich entscheide, mein Handeln hat stets Auswirkung auf die Moral meiner Truppe – sozusagen die Lebenskraft meiner kleinen Rebellion. Geht sie zuneige, ist das Spiel vorbei. Und zwar endgültig, denn es gibt weder eine Continue-Funktion noch die Möglichkeit, den Spielstand später abzuändern. Eine waschechte Permadeath-Regelung, die zumindest ein klein wenig Spannung auf spielerischer Seite gewährt.

Auffrischen kann ich Moral nur durch Ablenkung, etwa durch einen Besuch in einem geheimen Jazz-Tanzklub, oder durch kleine Erfolgs-Meilensteine. In der Regel verliert meine Truppe aber nach jedem Zug ein wenig Moral, weil die Nazis überall mitmischen und meine Freiwilligen stets Gefahr laufen verhaftet zu werden. Landet nur einer von ihnen im Knast oder gar im KZ, befindet sich der Wert im freien Fall.

Das liegt nicht nur an der steigenden Gefahr durch ungewollten Verrat. Jede Hand wird gebraucht. Ein jeder in meiner buchstäblich zusammengewürfelten Truppe ist ein Gewinn für die Sache. Ob Mann oder Frau, religiös, Fantast oder Realist, sie pflegen allesamt nützliche Talente. Der eine ist ein geschickter Redner und hat ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen, der andere ist gut in Geheimhaltung und Unauffälligkeit. Und so teile ich sie jenen Aufgaben zu, bei denen sie ihren Talenten am besten gerecht werden. Aber ihre Zusammenarbeit ist keine Selbstverständlichkeit, schließlich gehören sie Fraktionen an, die sich unter normalen Umständen politisch nicht grün wären.

Vorwissen bestimmt den Tiefgang

Konservative Religionsvertreter, Akademiker, Sozialdemokraten, Sozialisten, Anarchisten: ein bunter Haufen von politisch Ausgestoßenen, einstige Fädenzieher, die durch den Umsturz der Nazis all ihrer Ressourcen beraubt wurden. Aber um das in all seiner Komplexität zu verstehen, muss man schon ein wenig Ahnung von Geschichte und der damaligen politischen Landschaft haben.

Anarchisten beispielsweise gehörten damals zum ganz normalen politischen Umfeld und hatten nichts mit Chaos-Punks oder Mord und Totschlag in einer ungeregelten Gesellschaftsstruktur zu tun. Das ist ein Klischee, das man ihnen später andichtete, denn Anarchisten ging es lediglich um eine dezentrale, selbstüberlassene Gesellschaftsform auf Grundlage des Humanismus. Angesichts der menschlichen Natur eine übermäßig optimistische Fantasterei. Und Sozialdemokraten? Sie waren Realisten, hatten damals aber so gut wie nichts mit den gemäßigten Konservativen zu tun, die man heute aus der SPD kennt. Deren Socken sind heute höchstens altrosa, doch damals galten sie als einflussreiche rote Front der demokratischen Parteienlandschaft.

Allerdings waren sie verschrien, weil sie Deutschlands Machenschaften im ersten Weltkrieg unterstützt hatten. Ein verstrittener Haufen unter den Linken. Sie arbeiteten 1918 noch gegen den Rest der Linken und töteten ein Jahr später sogar einst angesehene Führungsleute aus den eigenen Reihen (siehe der Spartakusbund).

Wenn man solche Dinge weiß, wundert man sich nicht über Konflikte innerhalb der Widerstandsgruppe. Etwa den Versuch einiger Teilnehmer, einen Sozialdemokraten aus der Gruppe auszuschließen, obwohl er dringend gebraucht wird. Ohne Kontext sind solche und ähnliche Aktionen dagegen ziemlich verwirrend. Through The Darkest of Times ist geschichtlich sehr akkurat, bemüht sich aber nur selten, Wissenslücken zu schließen, die nicht im direkten Zusammenhang mit den Untaten der Nazis stehen. Und das ist schade, denn es sind genau solche Umstände, die zum Teil die Machtergreifung der Nazis erst möglich machten und die das Spiel der heutigen Generation erklären könnte.

Zu optimistisch

Da bleibt natürlich die Frage offen, ob weiterer Kontext die Spieler nicht überfordert hätte. Schon jetzt verbringt man in The Darkest of Times mehr Zeit mit Lesen als mit dem eigentlichen Spielen, und selbst auf lange Sicht geplante Maßnahmen wie etwa Sabotage-Aktionen, die sich vom repetitiven spielerischen Kern absetzen, wirken im Gesamtbild wie Zahlenschieberei.

Noch dazu ist Optimismus eine Grundeinstellung des Spiels, an der man immer mehr Zweifel hegt, je länger das Spiel andauert. Können so viele zentral gesteuerte Maßnahmen einer Rebellengruppe so lange unter dem Radar der Behörden fliegen? Trotz Verhaftungen, Toden, Flucht in den Untergrund und weiteren tragischen Schicksalen, die Spielfiguren ereilen, gehen die Designer des Spiels viel zu oft von Erfolgen aus. Und genau das ist der Punkt, an dem sich das Videospiel als Kunstform an der politischen Aussage reibt. Natürlich ist es moralisch richtig und wichtig, einem bösen Regime die Stirn zu bieten. Aber ist es auch immer im gezeigten Umfang möglich?

Through the Darkest of Times - E3 2019 Trailer
Trailer zu Through the Darkest of Times von der E3 2019.

Der Wunsch, eine realistische Form der der geschichtlichen Aufklärung zu betreiben, widerspricht den Gepflogenheiten vieler Videospiele. Die Unverwundbarkeit der Helden, ihr ungebrochener Siegeswille, ihre Möglichkeit, stets an nötige Ressourcen zu gelangen – das alles ist nötig, um dem Spieler eine Aussicht auf Erfolg zu gewähren. Man will das Spiel gewinnen.

In Through the Darkest of Times kann man die Nazis nicht aufhalten. Man kann nicht gewinnen, höchstens überleben. Trotzdem ist das Spiel zu optimistisch eingestellt, völlig gleich, in welch düsterem Ton Text und Grafik gehalten werden. Der gewählte Zeichenstil (neue Sachlichkeit) wie auch die Farbgebung erreichen ihr Ziel nicht, sie verwischen höchstens die Grenzen zwischen Fiktion und Historie. Denn wenn eines klar ist, dann dass das Böse auch bei eitel Sonnenschein regierte. Auch unter der Herrschaft der Nazis war der Himmel saftig blau – und das ist eigentlich viel erschreckender als ein ewiges Dunkel, wie man es höchstens in Tolkiens Mordor erwarten würde.

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