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Test - F1 2020 : Das kompletteste F1 aller Zeiten

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Verkorkster kann eine Formel-1-Saison nicht mehr werden. Pandemiebedingt fielen die ersten Rennen des 2020er-Zyklus komplett aus und selbst jetzt ist der Wurm drin, wie eben erst das Rennen in Österreich zeigte. Zum Glück bleibt uns noch die offizielle Videospiel-Umsetzung des rasanten Rennzirkus, in der alles wie am Schnürchen läuft. Zumindest wenn ihr die richtigen Entscheidungen trefft, denn in F1 2020 dürft ihr einen eigenen Rennstall gründen und seid somit eures eigenen Glückes Schmied.

Langsam in die Haarnadel, schnell herausbeschleunigen und dann in der Geraden Volldampf, bis das Pedal am Boden schleift. Dank der feinkörnigen Asphalt-Grafik setzt der Geschwindigkeitsrausch sofort ein. Ich kann mir bildhaft vorstellen, wie heftig die G-Kräfte auf die waghalsigen Piloten einwirken, wenn sie mal richtig durchstarten. In Monza liegt der Rekord bei knapp unter 370 Kilometern pro Stunde. Wahnsinn!

Wenn es um Formel 1 geht, hat sich Codemasters noch nie lumpen lassen. Feinfühlig loteten Programmierer und Grafiker bislang stets den Mittelweg zwischen Zugänglichkeit und Realismus aus. Sie sorgten obendrein dafür, dass jede der jährlichen Iterationen so viele neue Kleinigkeiten mitbrachte, dass der Spielablauf stets interessant blieb. Letztes Jahr lieferte man neben der kompletten Formel 2 als Einstiegsklasse sogar eine rundumerneuerte Beleuchtungsroutine, welche die Grafik hübscher gestaltete.

Und doch bin ich auch dieses Jahr wieder positiv angetan, weil es richtig dicke kommt. Nie zuvor war das Paket an Neuerungen so prall, angefangen beim Splitscreen-Modus für zwei Spieler über erweiterte Personalisierungsmöglichkeiten bis hin zum Aufbau eines eigenen Rennstalls. Ein echter Rundumschlag, der nicht einfach die Liste der Features verlängert. F1 2020 verlieh mir Flügel, von denen ein gewisser österreichischer Brausehersteller nur träumen kann.

Volles Programm

Gewohnheitstieren möchte ich zuerst versichern, dass alles vorhanden ist, was in den letzten Jahren schon Spaß machte. Man darf weiterhin in die Haut eines realen Formel-1-Rennfahrers schlüpfen, um die Stationen der aktuellen Saison abzuklappern, darf den jüngst eingeführten Formel-2-Rennzweig samt all seiner abweichenden Regeln auskosten oder eine Handvoll Retro-Flitzer austesten.

Wobei der optionale Zusatzinhalt, der in der Deluxe-Edition enthalten ist, ganz im Namen des Rekord-Meisters Michael Schumacher steht. Vier ikonische Flitzer seiner Laufbahn stehen als zusätzlicher Download bereit: Der Jordan 191 aus dem Jahr 1991, der 1994er Weltmeister-Benetton B194 sowie sein direkter Nachfolger, und – wie könnte es anders sein – der 2000er Ferrari, mit dem er das rote Team nach vier Jahren Aufholjagd zur Weltmeisterschaft führte.

Im Vergleich mit den heutigen High-Tech-Seifenkisten fahren sich alle vier Klassiker etwas steif, wenn ihr mich fragt. Den Spaß schmälert das nicht. Gerade auf den klassischen F1-Kursen, die seinerzeit angesagt waren, merkt man schnell, wo die Stärken der Fahrzeuge lagen. Insbesondere beim 2000er Ferrari, der heute noch abgeht wie Schmidts Katze. Kaum zu glauben, dass das schon 20 Jahre her sein soll.

Volles Management

So weit, so gut, nur liegt darauf dieses Jahr nicht der primäre Fokus des Spiels. Codemasters stampfte einen neuen Spielmodus aus dem Boden, der euch ermöglicht, einen neuen, elften Rennstall zu gründen, mit dem man die Formel 1 von hinten aufrollt. Und da ihr nicht nur Fahrer, sondern auch Besitzer des Rennstalls seid, habt ihr die absolute Kontrolle. Das beginnt mit einer Menge Personalisierung wie etwa der Wahl eines persönlichen Avatars, der Zusammenstellung eines Logos und den Teamfarben sowie der farblichen Gestaltung des Lacks auf dem Chassis des eigenen Rennwagens.

Anschließend geht es ums Geschäft: Welcher Sponsor darf‘s denn sein? Davon hängt nicht nur das Budget ab, sondern auch der Leistungsdruck, denn der Geldgeber erwartet gewisse Leistungen, die seinen Namen über Ruhm und Ehre auf dem Erdball verbreiten. Eine wichtige Entscheidung, schließlich bestimmt das Sponsoren-Budget, welchen Motor man einbauen und welchen Teamfahrer man verpflichten kann.

Der Rest des Renngeschehens klingt auf dem Papier ähnlich wie die übliche Karriere des Spiels, hat aber spürbar heftigere Auswirkungen, weil der neue Rennstall buchstäblich bei null beginnt. Jeder Test im Qualifying, der die Werte für Reifenhaftung, Beschleunigung und Aerodynamik neu auslotet, bringt dem Team spürbare Fortschritte und beeinflusst den Werdegang. So baut ihr mit der Zeit (die über einen tagesaktuellen Kalender nachvollzogen wird) ein Forschungszentrum auf und lockt neues Personal an – inklusive berühmter Rennfahrer, sofern man sich einen guten Ruf aneignet. So ein Lewis Hamilton heuert nunmal nicht bei einer Bruchbude an.

Volle Auswahl

Unglaublich, wie viel Motivation diese Umstände aus dem Nichts generieren. Während ich in den früheren Formel-1-Spielen gerne mal Fünfe gerade sein ließ, wenn Tests mangels guten Rundenzeiten unbrauchbar waren, fühlte ich mich schon bei den ersten Runden in meinem eigenen Flitzer verpflichtet, jederzeit alles zu geben - und wenn es sein muss das Rennwochenende von vorne zu starten.

Pressetermine samt Interviews, die zuvor eher dem Ansehen des Fahrers dienten, prägen nun das Image des Rennstalls und geben den Divisionen der Fahrzeugentwicklung Signale. Deswegen fallen die Multiple-Choice-Antwortmöglichkeiten ein wenig komplexer aus als zuvor. Auch der Zeitdruck beim Antworten ist nicht mehr stetig gegenwärtig, sodass ich in Ruhe überlegen kann, welche Prioritäten ich setzen möchte.

Kurzum: Der neue „My Team“-Modus verpasst Formel 1 2020 einen frischen Anstrich, der oberflächlich nach einem einfachen Personalisierungs-Feature aussieht, in der Praxis jedoch ein ganz neues Spielgefühl vermittelt. Rivalitäten erlebte ich nicht mehr aus der Perspektive dritter. Ich war und bin mittendrin im Rennzirkus. Mit Haut und Haaren! Endlich mal ein Grund, die vollen virtuellen zehn Jahre der möglichen Karriere auszukosten.

Eine wahre Beflügelung der Fantasie. Lediglich das Auferstehenlassen altgedienter Rennställe funktioniert nur bedingt, weil die Editoren für Logos und Lackdesigns aufgrund einer begrenzten Anzahl an Mustervorgaben Grenzen unterliegen. Man legt geometrische Figuren übereinander, wählt aus einer Palette Schattierungen und färbt sie zuletzt nach Gutdünken ein. Selbst zeichnen, wie in Forza Motorsport, ist nicht drin. Aber wer will denn kleinlich sein.

Was zählt, ist die Identifikation mit den eigenen Leistungen, und die wird sowohl auf der Strecke als auch abseits der Grand Prix gewährt, da man eigenhändig die Richtung vorgibt, in der die Technik des Fahrzeugs fortschreitet. Vier Hauptkategorien zerpflücken eine Art Skill-Tree in etliche Untersegmente.

Es geht nicht zwingend darum, gleich Weltmeister zu werden, sofern man nicht aus mangelnder Frustresistenz den Schwierigkeitsgrad nach unten schraubt. Überhaupt mithalten zu können, ist bereits eine großartige Leistung und eine Verschiebung der üblichen Prämisse. Ganz ehrlich: Wer wählte denn in den Vorgängerspielen ein anderes Team als Mercedes, Ferrari oder Red Bull und gurkte freiwillig im Mittelfeld herum? Dieses Jahr klopft man sich selbst für jede einzelne gewonnene Millisekunde auf die Schulter, die man dank Anschaffungen in Form eines verbesserten Windkanals oder eines Fahrsimulators gewinnt.

Noch einsteigerfreundlicher

Apropos Mittelfeld: Codemasters‘ Formel-1-Serie war dank gewisser zuschaltbarer Fahrhilfen schon immer einsteigerfreundlich, ließ sich im Simulationsanteil jedoch nicht die Butter vom Brot nehmen. Rutschige Curbs, schlecht befahrbare Umgebungsoberflächen, strenges Reglement bei Kollisionen und beim Abkürzen … gewisse Grundregeln müssen eingehalten werden, um Authentizität zu bewahren. Das ändert sich nun durch leichte Kompromisse, die man im Offline-Spielgeschehen zuschalten darf. So endet ein Ausflug über die Wiese nicht mehr zwingend mit einem Platz auf den hinteren Rängen, weil die Reifen sich nicht mehr in gefühlte Schmierseifen-Brocken verwandeln. Notorische Bremsenverächter können sich sogar automatisch zurück auf die Strecke setzen lassen, wie in einem klassischen Spielhallen-Racer.

Der Fairness halber stehen Anpassungen dieser Art nur offline zur Verfügung. In Online-Rennen bleibt es bei der gewohnt strengen Fahrphysik, was ein ordentliches Newbie-Duell aber nicht ausschließt, schließlich steht nun ein Splitscreen-Modus zur Verfügung, der den vollen Umfang eines Grand Prix inklusive Training und Qualifying gewährt, sofern man denn möchte.

Profis und Simulations-Cracks profitieren derweil von einer verfeinerten Steuerung, die strategische Elemente zugänglicher macht. So ist es nun leichter, den Boxenfunk zu steuern, während das DRS automatisiert werden kann. Abhängig von der Plattform hat das leider ein paar Nachteile. Xbox-Rennfahrern stehen nicht genug Knöpfe auf dem Joypad oder dem Lenkrad zur Verfügung, um alle Spielelemente im laufenden Rennen zu bedienen.

Dadurch rücken Standards wie etwa die Kamera-Ansicht oder die Rückspulfunktion (Flashback) ins Pausenmenü. Playstation und PC ermöglichen auf Lenkrändern das freie Belegen von Knöpfen, die auf dem Standard-Controller nicht vorhanden sind. Wenn Microsoft das in der nächsten Xbox-Generation nicht ändert, haben Xbox-Jünger bei Simulationen das Nachsehen.

Das Für und Wider der Grafik

Angesichts der vielen Neuerungen verwundert es nicht, dass viele Grafikdetails aus früheren Iterationen unverändert übernommen wurden. Reporter, Zwischensequenzen bei Teambesprechungen und so ziemlich alle Details auf den Strecken entsprechen denen der Vorgängerspiele. Da F1 2020 ein Multi-Plattform-Projekt ist, erreicht es nicht die grafische Exzellenz eines Gran Turismo Sport oder Forza Motorsport 7, aber Geometrie und Lichteffekte sind noch immer sehenswert. Vor allem das volumetrische Licht der Flutlampen bei Nacht kommt in HDR sehr gut rüber. Grafische Wunder darf man trotzdem nicht erwarten.

Das gilt auch für die wenigen neuen Elemente. Der Zwei-Spieler-Splitscreen-Modus nutzt grundsätzlich gröbere Texturen, vereinfachte Beleuchtung und reduzierte Detailsichtweite, damit CPU und GPU nicht unter der Last von zwei Mal 20 Fahrzeugen zusammenbrechen. Auf den Konsolen hat das mehr als nur optische Folgen. Die Bildrate peilt 30 statt der üblichen 60 Bilder pro Sekunde an und bricht selbst auf der Xbox One X an einigen Stellen ein, wobei ohne Ende Tearing zutage kommt. Die Bildrate fällt selbst bei zugeschalteten Wettereffekten selten unter 25 FPS, es bleibt also spielbar, aber die Fahrphysik ist zweifellos ungenauer als gewohnt.

F1 2020 - Feature-Trailer

Im neuen Trailer zeigt Codemasters alle Innovationen und Kernfunktionen der Rennsimulation F1 2020, darunter Fahrer-Management, Fahrzeuganpassungen, Fahrer-Markt und Teamräume sowie verschiedene Anpassungsmöglichkeiten.

Wer mehr Leistung sucht, wird auf dem PC fündig oder muss auf die nächste Konsolengeneration warten, denn ich bezweifle, dass Codemasters noch Spielräume hat. Während die Grafikspezialisten von Digital Foundry letztes Jahr noch eine Rekonstruktionstechnik auf den Konsolen vermuteten, bestätigt sich dieser Verdacht in der 2020er Iteration nicht. Es gibt kein Nachschimmern oder andere Anzeichen, die auf eine Skalierung von 1080p aus hinweisen. Was bedeutet, dass die Xbox-One-X-Fassung in nativem, knackscharfem 4K dargestellt wird. Kommt besonders gut rüber, wenn man die Motion-Blur-Option herunterschraubt.

Die Bildrate im Solo-Spiel beharrt auf felsenfesten 60 Bildern die Sekunde mit adaptivem V-Sync. Letzteres verhindert das volle Ausrendern von Bildern, wenn die Hardware mal nicht hinterherkommt. In dem Fall sind ein paar unvollendete Frames zu sehen, was zum sogenannten Tearing führt. Das kommt aber selten vor – am ehesten in Monaco bei Starkregen.

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