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Test - FAR: Changing Tides : Test: Im Meer der Melancholie

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Der Vorgänger FAR: Lone Sails war eines der interessanteren Indie-Spiele des Jahres 2018. Wunderbar entschleunigt und charmant gestaltet, entführte es uns in eine postapokalyptische, einsame Welt. Ein Schauplatz, den der Nachfolger FAR: Changing Tides ebenfalls zum Hauptdarsteller kürt. Denn noch mehr als die kleine Spielfigur, vermittelt die Umgebung den Stoff für selbstgesponnene Geschichten, die nur in eurem Kopf stattfinden.

In seiner meditativen, ja gar erstaunlich leeren und ereignislosen Erzählstruktur schweift FAR: Changing Tides nie in eine zweite Ebene ab. Dieses geradlinige, zweidimensional aufgezogene Puzzle-Adventure erzählt die simple Mär von Lone, einer kleinen, absichtlich geschlechtslos gehaltenen Spielfigur. Sie tritt eine Reise in die Ferne an und durchstreift dabei eine postapokalyptische, vereinsamten Welt, getrieben vom Wind und der Kraft einer Dampfmaschine. Linear und in der Regel selbsterklärend, lässt FAR wenig Platz für alternative Lösungswege oder andere strategische Überlegungen.

Für ein Videospiel klingt das ungewöhnlich. Vielen anderen Spielkonzepten würde dies den Stempel der Durchschaubarkeit aufdrücken. Wozu etwas spielen, das von vornherein kaum abwechslungsreiche Interaktion verlangt?

Eine berechtigte Frage für Action-Fanatiker, die permanente Auslastung suchen. Wenn ihr euch bei Shootern schon langweilt, wenn ihr mal zwei Minuten nicht den Abzug eurer Waffe drückt oder in spektakulären Stunts über die Landschaft huscht, dann ist FAR: Changing Tides nichts für euch, denn über lange Strecken hinweg sollt ihr nichts weiter tun, als ein großes Dampfschiff am Laufen zu halten.

Kein typisches Dampfschiff. Eher eine wilde Konstruktion, die irgendwie wider aller Wahrscheinlichkeit funktioniert. Aus welchen Bauteilen es genau besteht, ist unklar, aber sein Rumpf ist zylindrisch und wurde offensichtlich aus der Not heraus wild zusammengeflickt. Eine Frankenstein-Maschine, die zwar auch über einen großen Segelmast verfügt, diesen aber nur für den Notfall benötigt. Genauer gesagt, wenn mal kein verbrennbares Material bereitsteht, das den Dampfmotor speist.

Dieser Motor verbrennt Müll, den ihr auf der Reise heranschaffen, ihn lagern und bei Bedarf in die Verbrennungskammer bringen müsst. Klingt simpel, ist es aber nicht, denn das meiste davon liegt auf dem Meeresgrund. Zum Glück kann Lone inzwischen unbegrenzt lange tauchen und in Rekordgeschwindigkeit durch das Wasser schießen.

Sobald Treibstoff vorhanden ist, geht es auch schon los. Ein großer Blasebalg im Innenraum des Schiffs, auf dem Lone mithilfe ihres eigenes Gewicht Sauerstoff pumpt, heizt die Temperatur der Kammer an, damit der nebenan liegende Wasserkessel Dampf erzeugt und das Gefährt an Geschwindigkeit gewinnt. Auf diese Weise tuckert ihr mit Lone auf einem zweidimensionalen Spielfeld, das in 3D-Grafik dargestellt wird, von links nach rechts ins Unbekannte hinein.

Regelmäßig muss Treibstoff nachgefüllt und der Kessel geheizt werden, sonst sinkt die Geschwindigkeit. Man darf es nur nicht übertreiben, denn wenn der Kessel ständig unter Volldampf steht, droht er in Flammen aufzugehen, was wiederum ein paar Spritzer Löschwasser verhindern. Eine Gleichung, die in einem immerwährenden Geschicklichkeitstest ständig ausbalanciert werden will, aber nach etwas Eingewöhnung in einen gewissen Automatismus übergeht, sodass man sich auf der Fahrt an den Schauplätzen der überschwemmten, zerfallenen Welt ergötzt.

An sich eine entspannte Reise voller faszinierender Eindrücke, wären da nicht immer wieder Gebäude oder Naturereignisse, die im Weg stünden und beseitigt oder zumindest entschärft werden müssen. Mechanische Konstruktionen wollen in Gang gebracht, alte Türme erforscht und längst vergessene Einrichtungen funktionsfähig gemacht werden, was nicht nur durch freie Passage belohnt wird, sondern gelegentlich auch durch ein Upgrade des Dampfschiffs. Als Ingenieur und Kapitän in Personalunion gibt es ständig etwas zu tun. Kisten verschieben, Tore öffnen, Laufbänder in Gang setzen. Sowas eben, nur meist in einer vertrackten Kombination, die eine bestimmte Reihenfolge voraussetzt.

Am falschen Rad gedreht

Solltet ihr den Vorgänger FAR: Lone Sails gespielt haben, so dürfte euch diese Beschreibung bekannt vorkommen. Abseits der Tatsache, dass die Dampfmaschine nicht mehr auf Rädern fährt, sondern diesmal von vornherein auf (und später unter) der Wasseroberfläche schwimmt, offeriert der Nachfolger nur mehr vom selben Spielprinzip. Das Abenteuer ist länger und in manchen Stellen etwas komplexer, aber es bringt nichts weltbewegend Neues mit.

Grundsätzlich wäre das kein Grund zum Klagen, doch beim Versuch, den Puzzles mehr Komplexität zu verleihen, schossen die Entwickler gelegentlich über das Ziel hinaus. Manche der Kopfnüsse wirken etwas zu verschachtelt und lenken so sehr vom Hauptstrang ab, dass einiges vom meditativen Flair verlorengeht. Anstelle eines entspannenden Mix aus fremdländischer Faszination und angenehmem Gehirnjogging tritt Mühseligkeit und Repetition in den Vordergrund.

Einer der Hauptfaktoren für diese Kritik ist das Segel des Schiffs. Damit es auch bei wechselnden Windrichtungen im Strom bleibt, muss man es nun stetig neu ausrichten, was schwierig ist, wenn man ohne dreidimensionale Ansicht oder Kameraschwenks darauf achten soll, dass es unbeschadet bleibt. Knallt man zu oft an Hindernisse, verhindert der entstandene Schaden den Einsatz des Segels. Steht dann auch noch kein Treibstoff für die Dampfmaschine bereit, hilft nur das Laden eines alten Spielstands oder viel Geduld bein schneckengleichen Treiben im Strom des Wassers in der Hoffnung, irgendwo ein Reparatur-Kit zu finden.

FAR: Changing Tides - gamescom 201 Feature Reveal Trailer

Das Sci-Fi-Spiel rutscht in das Jahr 2022, doch immerhin gibt es einen frischen Trailer von der gamescom.

Eine Regelung, mit der man sich arrangieren könnte, wenn nicht ständig Hindernisse auf dem Weg lägen, die man mangels Verfolgerperspektive viel zu spät entdeckt. Man darf zwar auf Knopfdruck einen Kamerazoom vollziehen, der ein wenig mehr vom anstehenden Weg zeigt, aber selbst damit tauchen Blockaden wie etwa Brücken oder nahe Felsen dermaßen schnell auf, dass man das Segel nur selten rechtzeitig zusammengeklappt bekommt. Anstrengend, zumal man eigentlich ständig in der gezoomten Ansicht segeln müsste, in der jede andere Aktion auf dem Schiff unmöglich erscheint, weil die Spielfigur dabei auf Ameisengröße schrumpft.

Trotz all seiner schwermütigen Musik, den verspielt aufgereihten Schauplätzen und einigen kniffligen Rätselaufgaben mitsamt einigen durchaus verbesserten Spielmechaniken, schafft es FAR: Changing Tides nicht, aus dem Schatten seines Vorgängers herauszutreten. Schade, dass so viel Spielzeit am Erhalt der grundsätzlichen Fortbewegung verlorengeht. Nicht nur, weil es die Spielbalance und das meditative Gefühl des Vorgängers abschwächt, sondern auch weil die Xbox-One-Fassung aus unerklärlichen Gründen mit einem heftigen Eingabe-Lag kämpft, der diese Aufgabe beinahe unmöglich macht. Auf den neuen Series-Konsolen besteht das Problem nicht, aber auf Xbox One X läuft und springt Lone mit einer derart großen Verzögerung, dass man viele knappe Absprünge verpasst und selbst mit dem Erklimmen einfacher Leitern Probleme bekommt.

Greift zu, wenn...

… ihr ein besinnliches Puzzle-Abenteuer sucht, das leider nicht ganz so meditativ ausfällt wie sein Vorgänger.

Spart es euch, wenn...

… euch schöne Landschaften, clevere Puzzles und wortlos erzählte Geschichten nicht genug Action servieren.

Fazit

Denis Brown - Portraitvon Denis Brown
Atmosphärisch schön, aber repetitiv

Der Vorgänger Far: Lone Sails begeisterte mich damals so sehr, dass ich ihn gleich mehrmals am Stück durchspielte. Bei FAR: Changing Tides verspüre ich dieses Bedürfnis leider nicht mehr, was an dem gesteigerten, inzwischen leider etwas nervigen Micromanagement auf dem Dampfschiff liegt. Ich hatte mich darauf gefreut, wieder unzählige wortlos vermittelte Geschichten aus der Umwelt zu fischen, doch obwohl sie noch immer existieren, hatte ich viel seltener Zeit, ihnen Beachtung zu schenken.

Seltsam, dass die Macher von Okomotive diesen Weg einschlagen. FAR war kein Spiel, das durch Gameplay-Feinheiten vom Hocker riss. Im Gegenteil, seine entschleunigte Herangehensweise setzte einen erfrischenden Kontrast zum actionlastigen Einerlei vieler andere Indie-Games.

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FAR: Changing Tides setzt auf dieselbe Mischung aus Rätseln und meditativer Fahrt, wird euch also höchstwahrscheinlich gut unterhalten, wenn ihr den Vorgänger mochtet. Lediglich die Balance zwischen den Spielelementen wurde in meinen Augen nachteilig verändert. Solltet ihr euch in diesem Spielprinzip etwas mehr Beschäftigung gewünscht haben, dann könnte euch der Nachfolger sogar etwas besser gefallen. Eine klare Geschmacksfrage. An der Erzählstruktur gibt es dagegen noch immer nichts auszusetzen. So eine Mischung aus bittersüßer Melancholie und meditativer Stille findet man selten.

Überblick

Pro

  • meditative Atmosphäre
  • wortlos vermittelte (Melo-)Dramatik
  • größtenteils clevere Puzzles
  • spannende Unterwasser-Reisen
  • schwermütiger Soundtrack

Contra

  • mehr Micromanagement mit Segel und Motor
  • dadurch weniger Zeit in die atmosphärische Erzählung einzutauchen
  • Hindernisse nur schwer vorab zu entdecken
  • einige Puzzle-Lösungswege unnötig umständlich
  • krasser Eingabe-Lag auf Xbox One

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